In alten Zeiten ratterten Pferdefuhrwerke durch die engen Gassen der Grazer Innenstadt. Damit die Hausecken keine Schrammen abbekamen, wurden Prellsteine errichtet. An diesen kratzten die Fuhrwerke die Kurve.
Die Steine sind im Gegensatz zum Mauerwerk der Häuser aus hartem Gestein und haben viel ausgehalten. So stehen sie auch heute noch sichtbar, aber meist unbeachtet in der Stadt, manche im Original, manche ausgebessert oder umgestaltet. Wahrgenommen wohl nur von Hunden, die hier vorzugsweise ihr Bein heben oder männlichen Zeitgenossen, deren Benehmen zu wünschen übriglässt. 137 Prellsteine sind in den Bezirken I bis V noch erhalten, nicht mitgerechnet jene an Toren oder Hofeinfahrten, 63 davon in der historischen Altstadt. Man sieht sie an allen Ecken und Kanten, wenn man aufmerksam genug ist. Das Wissen darüber verdanken wir Anna Brosch, die ihre Diplomarbeit an der Uni Graz 2010 den Prellsteinen widmete. Sie hat sie von oben bis unten vermessen sowie Standort, Form und Material dokumentiert. Manche sind architektonische Kleinode wie zum Beispiel die Prellsteine auf dem Foto links und rechts, der eine an der Ecke Sporgasse 10/Färbergasse 1, der andere Landhausgasse 1/Herrengasse 16. Anna Brosch nennt sie figurativ-ornamental, während der in der Mitte zu den phallus- und pilzähnlichen Steinen zählt. Er steht an der Dreifaltigkeitskirche am Schloßbergplatz. In den Beschreibungen gibt es Sockel, Ringe, Wulste, Kehlen, Köpfe, Kugeln, Hüte und vieles mehr. Graz war durch seine günstige Lage an der Mur ein wichtiger Handelsplatz. Es dürfte also jede Menge an Fuhrwerken und Kutschen gegeben haben, die die Kurve kratzten.
Auch Lenkerinnen und Lenker moderner Gefährte neigen dazu, manchmal die Kurven zu schneiden und ab und zu hat das Folgen, vorzugsweise in Tiefgaragen. Leider habe auch ich einmal in unserer Garage die Kurve nicht gekriegt und an der Säule Spuren hinterlassen. Nicht wie in alten Zeiten nur mit den Rädern, sondern gleich mit der Breitseite des Autos. Das ist kaum zu glauben, denn ich bin mehr als 1000mal problemlos an dieser Säule zu Beginn der Ausfahrt vorbeigekommen. Was auch immer die fatale Unaufmerksamkeit ausgelöst hat, das Geräusch war furchterregend und auch der Preis für die Reparatur. Seither kann ich nicht mehr unbefangen aus der Garage fahren, bin zu langsam oder hole zu weit aus. Und jetzt mit dem Wissen über die Prellsteine wundere ich mich, dass es so etwas heute nicht mehr gibt. Eine kleine Manschette ganz unten oder eine nach oben verjüngende Form der Säule könnte so manch blechernes Unglück verhindern. Man sieht die Kratzer ja so gut wie in allen Parkgaragen. Die alte Kulturtechnik der Prellsteine, die es schon bei den Römern gab, könnte sofort Abhilfe schaffen. Wer einen solchen Blechschaden bei einem Glas Wein vergessen möchte, wählt am Franziskanerplatz den Don Camillo. Dort späht ein Prellstein in Form eines Bären über die Tischkante ...
Die Grazer Prellsteine, 2010, Diplomarbeit von Anna Brosch, pdf-Dokument auf der Uni-Seite unter Dateien