Eine kleine Gasse mit großem Namen

Ihrem weltberühmten Bewohner hat die ehemalige Blumengasse den heutigen Namen zu verdanken: Alfred Wegener. Der Entdecker der Kontinentalverschiebung lebte inmitten architektonischer Kleinode.

 

Sie liegt etwas versteckt, ist aber leicht zu finden: Von der Leonhardstraße geht es gleich nach der Haltestelle Reiterkaserne nach rechts, die Wegenergasse zweigt dann nach links ab. Hier beginnt es, das vorige Jahrhundert, nur die geparkten Autos passen nicht ganz ins Bild. Als die Häuser zwischen 1910 und 1914 gebaut wurden, gab es nur etwas mehr als 100 Autos in Graz, Asphaltstraßen waren die Ausnahme und den Treibstoff bekam man in der Apotheke oder im Gasthaus.

 

Waltendorf war ein Vorort von Graz, als ein gewisser Heinrich Bachmann die Gründe aufkaufte, um Mietshäuser zu bauen. In der Vorortezeitung vom Juli 1914 ist zu lesen, dass man befürchten musste, gesteinigt zu werden, wenn man nur seinen Namen nannte. Ein reicher Unternehmer baut mitten im Grünen Siedlungshäuser für wohlhabende Menschen und das auch noch völlig legal und mit ästhetischem Anspruch. Das ist doch wirklich suspekt. 100 Jahre später werden die 23 Gebäude in der Wegenergasse, der Sonnengasse und der Ehlergasse als Bachmann-Kolonie unter Denkmalschutz gestellt.

 

Einzigartig ist der Stil aus Gartenstadt- und Heimatschutzarchitektur, also regionaltypische Bauformen, die sich harmonisch in die Umgebung einfügen. Die damals modernen Jugendstilelemente werten dabei unverkennbar die Fassaden auf. Kein Wunder, denn einer der Architekten, Adolf von Inffeld, war ein Schüler von Otto Wagner. 

 

Auch wenn Blumengasse als Adresse für die charmante Siedlung gut gepasst hat, lief ihr der prominenteste Bewohner den Rang ab. Der Meteorologe, Physiker und Polarforscher Alfred Wegener wohnte von 1924 bis 1930 im Haus Nr. 9. Nebenan auf Nr. 11 hätte ich um ein Haar eine Dachwohnung gekauft. Zwei Freundesfamilien wohnten bereits dort. Ich habe es nicht getan und das war im Nachhinein, wo man ja auf jeden Fall gescheiter ist, gut so. Denn die Kinder wurden größer, die Beziehungen veränderten sich und heute leben die damaligen Bewohner und -innen ganz woanders. Besonders schöne Erinnerungen habe ich an die Feste im Garten, gar keine daran, dass Alfred Wegener einmal im Nebenhaus gewohnt hat. Und das trotz gut sichtbarer Gedenktafel an der Hausmauer. Er hatte an der Uni Graz den Lehrstuhl für Meteorologie und Geophysik inne. Und als er bei seiner 3. Grönlandreise 1930 im ewigen Eis blieb, wurde er im Jahr darauf mit der Wegenergasse geehrt. Zur Zeit der Errichtung seines späteren Wohnsitzes, war er in Deutschland und sprach 1912 erstmals öffentlich über die Kontinentalverschiebung. Die Theorie, dass die Kontinente sich auf dem Erdmantel bewegen und daher zusammenstoßen, sich auffalten oder auseinanderbrechen konnten, war revolutionär, aber nicht mehrheitsfähig. Erst lange nach seinem Tod gab es die verdiente Anerkennung. Das Wegener-Haus wurde in den 1970ern etwas unachtsam verändert, aber da stand die idyllische Gasse ja noch nicht unter Denkmalschutz. 

 

 

Grazer Vorortezeitung vom 5. Juli 1914 unter www.anno.onb.ac.at * Die planenden Architekten der Bachmann-Kolonie: Adolf von Inffeld und Josef Gartlgruber * Über Alfred Wegener u. a.: https://www.awi.de/ueber-uns/organisation/alfred-wegener