Das Nest im Kirchturm

 Jetzt, im Mai 2024, bewohnt ein Wanderfalkenpärchen mit seinen vier Jungen den dritthöchsten Kirchturm Österreichs. Die Grazer Herz-Jesu-Kirche ist aber auch sonst etwas ganz Besonderes.

 

Inmitten eines großzügigen Parks steht das nicht einmal 150 Jahre alte Kirchengebäude, besonders auffällig durch die Fassade aus Backstein und besonders einladend durch den lichtdurchfluteten Innenraum mit den kunstvollen Glasfenstern. Das neugotische Gotteshaus ist ein Glücksfall, den wir 2 Persönlichkeiten verdanken: Johann Baptist Zwerger und Georg Hauberrisser. Der eine, Fürstbischof von Seckau, wollte die Herz-Jesu-Verehrung mit einer Wallfahrtskirche aufwerten, der andere, ein Architekt, seinen internationalen Ruf in der Grazer Heimat festigen. Hauberrisser hat nicht nur den Bau, sondern auch die Parkanlage und die Inneneinrichtung bis ins kleinste Detail durchgeplant. Die Einweihung fand am 5. Juni 1891 statt, der Nistplatz der Wanderfalken befindet sich im 109,6 Meter hohen Turm. Höher ist nur der Turm der Stephanskirche und jener des Linzer Doms.

 

Noch ein Name taucht auf: Hans Brandstetter. Das Grabmonument des Fürstbischofs in der Unterkirche gehört zu seinen Meisterwerken. Der steirische Bildhauer hat so gut wie alle Skulpturen der Kirche geschaffen. Sympathisch, dass nicht nur der Hausherr, der Architekt und der großzügige Gönner verewigt sind, sondern auch der Bauleiter und die Handwerksmeister. Da wollten dann offenbar die Maler der Fresken im Innenraum nicht nachstehen. Die drei haben sich unter die Zuhörer der Bergpredigt geschmuggelt.

 

Die Herz-Jesu-Kirche ist mir in Graz am vertrautesten. Nicht nur, weil ich ab und zu den flauschigen Jungfalken auf der Webcam zuschaue, sondern weil sich in früheren Zeiten eine wohnortbedingte Nähe ergab. Nur um alle Zweifel zu zerstreuen, das auf dem Foto sind Spatzenkinder. Deren Eltern haben sich vor langer Zeit ein kleines Körbchen auf dem Balkon meiner Eltern in Klagenfurt zum Brüten ausgesucht. Im Erdgeschoss, nicht auf 70 Metern Höhe wie Inge und Ivica, die beiden Wanderfalken. Die 4 Falkenbabys sind Mitte April nach einem Monat Brutzeit geschlüpft. Das Pärchen hat sich den Turm schon zum 4. Mal als Nistplatz auserkoren. Dabei schaut es dort gar nicht so gemütlich aus. Wanderfalken sind aber ohnehin eher in den Lüften unterwegs. Im Sturzflug erreichen sie weit über 300 km/h und sollen damit die schnellsten Tiere der Welt sein. Da geht es der Hausspatz schon gemütlicher an. Fast 50 km/h sind aber auch nicht ohne.

 

Herz-Jesu ist eine Mehrzweckkirche. Außer Gottesdiensten und Falkenbrüten gibt es noch Konzerte und Ausstellungen. Und nicht zu vergessen den Bücherbazar in der Unterkirche. Ein Paradies für alle Lesehungrigen, wenn tausende Bücher sorgfältig nach Sachbereichen sortiert, angeboten werden. Ob und wann er 2024 stattfindet, konnte ich (noch) nicht ausfindig machen. Aber derzeit sind ohnehin die Wanderfalken das große Thema. Ende Mai werden wohl die Flugversuche starten.

 

 

Kirchenführer aus dem Jahr 2007, Eigenverlag der Pfarre Herz-Jesu-Graz