Graz von oben

Die historische Dachlandschaft mit ihren rot schattierten Ziegeldächern ist mit ein Grund, warum Graz im Jahr 1999 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Der Blick von oben ist auch mit einem Schönheitsfehler eindrucksvoll.

 

Letzterer betrifft das Kastner & Öhler-Dach. Seit dem Umbau 2010 ragt eine silberne Stahlkonstruktion in den Himmel, die auf ihre Verkleidung wartet. Da wird wohl bald einmal Feuer am Dach sein, wenn die Zusage nicht eingehalten wird. Eine besondere Ironie ist der tolle Ausblick auf die Dächer von Graz vom Freiblick aus, dem Tagescafé von Kastner & Öhler. Die Dachlandschaft ist schon länger durch das Altstadterhaltungsgesetz geschützt. Und nicht nur das, es gibt sogar eine Dachlandschafterhaltungs-Verordnung. Die Grazer Ziegeldächer wurden über Jahrhunderte repariert und saniert. Denn historische Ziegel sind genauso erhaltenswert wie Häuser und Fassaden.

 

„Du musst am Schloßberg stehn und Graz von oben sehn“ – es gibt sogar einen Walzer, den Musikwissenschaftlerin Eva Maria Hois, die wir schon aus der Blog-Geschichte über die Weihnachtslieder kennen, ausgegraben hat. Womit klar ist: Den besten Blick auf die Grazer Dachlandschaft hat man vom Schloßberg aus. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern.

 

Warum sie das tun? Weil sie in einer unserer Redewendungen gelandet sind. Deren Bedeutung kennen wir meist, den Ursprung selten. Schauen wir also, was uns die Dächer so erzählen.

 

Wem der Spatz in der Hand lieber ist als die Taube auf dem Dach ist wohl eher bescheiden und schätzt einen kleinen realistischen Vorteil mehr als die ungewisse Aussicht auf einen größeren. Das ursprünglich lateinische Sprichwort lautet: Ein gefangener Vogel ist besser als tausend im Gras hüpfende. Eine auf’s Dach bekommen oder jemandem auf’s Dach steigen kommt aus dem Mittelalter. Das eigene Dach bot vollkommenen Schutz. Beschuldigte, die sich in ihrem Haus vor dem Gericht versteckten, erhielten daher zunächst eine Frist, um sich zu stellen. Taten sie es nicht, deckte man das Dach ab und der Übeltäter konnte ohne schützendes Dach aus dem Gebäude abgeführt werden. Später wurde das Abdecken zu einer Art Volksjustiz, um Dorfbewohner bloßzustellen, wenn man sie eines unlauteren Verhaltens verdächtigte.

 

Etwas unter Dach und Fach zu bringen, heißt etwas abschließen. Das Fach kommt vom Fachwerkhaus und bedeutet Wand. Mit Dach und Fach ist also ein Raum fertig und sicher. Aber zurück zu den Spatzen, die es von den Dächern pfeifen: Hier handelt es sich wahrscheinlich um die Abwandlung eines Bibelzitats. Meine Lust an Redewendungen hat übrigens eine entsprechende Führung im Museum für Geschichte geweckt. Unsere Alltagssprache ist voll davon, obwohl die meisten eine jahrhundertelange Zeitreise hinter sich haben …

 

 

Mehr über das UNESCO Weltkulturerbe Graz gibt es u. a. in einem Folder * Der Schloßbergwalzer stammt von Hans Maler (Text) und Franz Hart (Musik), verlegt um 1968 von Hermann Schneider, Wien * Zu den Redewendungen gibt es viele Hinweise u. a. unter www.redensarten-index.de/suche.php