Wer spechtelt, tut dies fast immer heimlich

In Graz und auch anderswo gibt es manchmal kleine unauffällige Seitenfenster in Mauervorsprüngen und Erkern, die einen Blick auf die Straße erlauben ohne selbst gesehen zu werden. Man nennt sie Spechtelfenster.

 

Besondere auffällig sind jene in der Sackstraße und in der Schmiedgasse. Das Foto zeigt die Schmiedgasse, auf dem gleich drei Häuser mit Spechtelfenstern zu erkennen sind. Anderswo heißen sie Späh- oder Spionfenster oder bei unseren Nachbarn auch Guckfenster. Die liebevolle Grazer Bezeichnung Spechtelfenster ist möglicherweise eine Erfindung der GrazGuides. Die Fenster zum unbemerkten Beobachten soll es seit dem Mittelalter geben und sie sind bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in der Architektur zu finden. Ihre legitimen Nachfolger sind möglicherweise unsere Türspione.

 

Spechteln ist laut Duden österreichisch umgangssprachlich. Erklärt wird es mit schauen, spähen, spionieren. Im Österreichischen Wörterbuch fehlt das Wort spionieren. Beim Hauptwort Spechtler meint der Duden, das sei ein Späher oder Spion, das Österreichische Wörterbuch findet Voyeur oder Beobachter treffender. Gegendert hängt überall ein „in“ dran, auch beim Voyeur. Eine Voyeuse ist nämlich ein französisches Sitzmöbel aus dem 18. Jahrhundert.

 

Menschen, die als Hobby den Himmel durchs Teleskop beobachten, spechteln übrigens auch. Der Ausdruck ist in Österreich und Bayern in der Animateur-Astronomie verbreitet. 

 

Mir ist der Begriff schon lange geläufig. Das Spechteln durchs Schlüsselloch, um zu sehen, ob das Christkind kommt, hat Generationen begleitet. Es ist bei uns ja auch schon seit dem 16. Jahrhundert aktiv. Das mit dem Spechteln wird in Zeiten von offenen Wohnräumen und Zylinderschlössern aber immer schwieriger. Ich habe bei mir zuhause gerade noch ein Schlüsselloch gefunden. Spechteln hat für mich jedenfalls den Anschein von etwas, das man eigentlich nicht tut. Auf den Nachbarbalkon spähen, jemanden durchs Fenster beobachten, in der Straßenbahn auf das Handy anderer Menschen schauen, bei der Prüfung einen Blick auf das Ergebnis nebenan werfen – man weiß selbst, dass Spechteln ein ganz klein wenig unstatthaft ist.

 

Beim Recherchieren bin ich auch auf ein sogenanntes Spionglas gestoßen, also ein Glas, bei dem man nur auf einer Seite durchsieht. Dass dieses Glas die Sonne so stark reflektiert, dass es dahinter um einige Grad kühler bleibt, ist mir völlig neu. Ich werde mich schlau machen, denn das ist vielleicht eine Alternative zur Klimaanlage, falls die Sommer (noch) heißer werden …