Hörst du nicht die Glocken

Wer kennt es nicht, das Kinderlied vom Bruder Jakob. Der Mönch verschläft, weil er die Glocken nicht hört. 2000 davon soll es in der Steiermark geben. Sie rufen zum Gebet, zum Gottesdienst und zu sonstigen Anlässen.

 

Besonders ins Herz geschlossen haben die Grazer und Grazerinnen ihre Liesl im Glockenturm auf dem Schloßberg. Kein Wunder, haben sie sie doch gleich zweimal vor einem traurigen Schicksal bewahrt. Einmal 1784 als Josef II ihr Läuten verbot und sie verkauft werde sollte und das zweite Mal 1809 als die Franzosen das Schleifen der Schloßberg-Festung durchsetzen konnten. Im ersten Fall genügte moralischer Druck, um das Läuten 4 Jahre später wieder zu hören. Beim zweiten Mal war dann bekanntlich eine beträchtliche Kaufsumme im Spiel. Die Liesl wurde 1587 gegossen, der 8-eckige Turm über ihr aufgebaut und die Glocke mit ihren 4,6 Tonnen und fast 2 Metern Durchmesser wohl im Inneren hochgezogen. Sie läutet täglich 3 Mal mit 101 Schlägen. Zumindest sollte sie das, tatsächlich klingt sie ganze 11 Mal nach. Überhaupt sei ihr Klang zwar markant, aber etwas unrhythmisch und der Klöppelfänger lädiert, sagen die Experten. Dass sie aus 101 türkischen Kanonenkugeln gegossen wurde, gehört übrigens ins Reich der Legenden. Den Glockengießer Martin Hilger hat sich Erzherzog Karl II für 10 Jahre aus Sachsen ausgeliehen, die Liesl war sein letztes Werk in Graz. So richtig nahe kommt man Hilgers Glocke nur bei einer Führung. 

 

Die Grazer Bürgerinnen und Bürger haben auch den Uhrturm vor der Zerstörung gerettet. Oberhalb des hölzernen Wehrgangs hängen gut sichtbar einmal zwei Glocken und einmal eine. Zusammen bildeten sie eine Art Nachrichtenstation. Die Stundenglocke schlug zur vollen Stunde und tut das noch heute. Die Armesünderglocke läutete bei Hinrichtungen und später dann zur Sperrstunde im Wirtshaus, was ihr den Spitznamen Lumpenglocke eintrug. Die Nummer drei im Bunde hatte früher eine überaus wichtige Funktion: seit 1645 war sie als Feuerglocke im Einsatz. Der Türmer, der damals im Dach wohnte, läutete sie und zwar so, dass man an der Anzahl der Schläge den Bezirk erkennen konnte.

 

Kaum zu glauben, dass Glocken heute noch im gleichen Verfahren wie früher hergestellt werden. Es wird eine Lehmglocke gebaut, die aus einem Kern und einem Mantel besteht, damit die Glockenspeise mit 1100 Grad in den Zwischenraum fließen kann. Noch immer werden für die Bronze 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn verwendet. Wer den aufwändigen Prozess miterleben möchte, sieht sich den Film dazu an – 45 Minuten Spannung pur. Eine andere Möglichkeit ist das Lesen von Schillers Glocke, von der vielleicht sogar ein paar Reime hängengeblieben sind.

 

Kirchenglocken wie wir sie kennen – aus Bronze, groß, schwer, freischwingend in einem Glockenturm –  gibt es so ab dem 10. Jahrhundert. Sie bestimmen seit damals die Liturgie im christlichen Europa. Davor waren eher handliche Exemplare in Verwendung. Das mächtigste Geläute in Graz ist das von Dom und Mausoleum gemeinsam, wenn alle 12 Glocken erklingen. Bei der Langen Nacht der Kirchen konnte man die 126 Stufen zum Dachreiter hinaufschnaufen, in der Herz-Jesu-Kirche sind es 220. Es gibt feste Zeiten für das Läuten, morgens, mittags und abends und am Freitag um 15 Uhr, der Todesstunde Jesu. Dann natürlich vor den Gottesdiensten, zu kirchlichen Festen und anderen speziellen Anlässen. Papst Calixt III hat 1459 das kirchliche Mittagsläuten sogar verordnet, damit währenddessen für den Sieg der Christen über die Osmanen gebetet wird. Damals hat es geklappt. Heute hat jede Kirche ihre eigene Läuteordnung. Dazu kommt noch das weltliche Uhrzeitläuten. Natürlich alles elektronisch gesteuert. Die Liesl im Glockenturm ist die drittgrößte Glocke in der Steiermark, übertroffen nur von der zweiten Liesl in Seggau und der „Großen“ in Mariazell. Diese 3 und viele andere sind auf youtube zu hören. Mein Klang-Favorit ist das Läuten der Stadtpfarrkirche.

 

Mitten in der Recherche zur Glocken-Geschichte habe ich bei einem Sing-Workshop der Urania den Kanon vom Bruder Jakob gesungen. Nach Jahrzehnten, es gibt sonderbare Zufälle. Dass das ein Mönch war, der das klösterliche Gebetsläuten verschlafen hat, hatte ich gerade erst gelesen. Seine Muttersprache ist übrigens französisch. Glockengeläute klingt nicht immer nach ding, dang, dong, in Finnland heißt es pim, pam, pom, und in Polen bim, bam, bum. Für alle, die jetzt meine Gesangskünste in Frage stellen, wir haben auch andere Lieder gesungen. Die Chorleiterin Barbara Herzog-Drewes war ungemein charmant, inspirierend und vielseitig, eine Kärntnerin halt. Auch Schillers Glocke wurde vertont, sie stand aber dem Himmel sei Dank nicht auf dem Programm. Auf meinem steht noch, dass ich herausfinden möchte, wie die Gießereien das mit den unterschiedlichen Grundtönen hinbekommen.

 

Heute am 21. September (2025) ist Weltfriedenstag. Da sollten alle Kirchenglocken geläutet haben, für eine bessere Welt, die wir dringend nötig haben und die leider in weite Ferne gerückt ist … 

 



Fotos: Liesl im Glockenturm, Uhrturm, Dom, Lied/Gedicht, unten: Glockenturm, Herz-Jesu-Kirche, Stadtpfarrkirche * Liesl Läuten im Glockenturm * Geläute von Dom und Mausoleum * Vollläuten der Stadtpfarrkirche * Geläute Herz-Jesu-Kirche