Liebesschlösser und andere Verriegelungen

Der beliebteste Ort für die Symbole ewiger Verbundenheit in Graz ist die Erzherzog-Johann-Brücke. Nur einen Kilometer weiter nördlich begeistert das Schlüsselmuseum mit seinen historischen Schätzen nicht nur Verliebte. 

 

Zwischen den Vorhangschlössern kann man noch die Mur sehen. Woanders hängen sie in Vielfachreihen übereinander oder hingen einmal. In Paris ist schon 2014 das Geländer einer Fußgängerbrücke eingestürzt. Die zigtausend Liebessymbole wurden daraufhin entfernt. Mit einer Verglasung hat man weiteren Schlössern auch gleich den sprichwörtlichen Riegel vorgeschoben. Am beliebtesten scheint derzeit die Hohenzollernbrücke in Köln zu sein, sie überquert den Rhein. Dort hängen die Schlösser am Sicherheitsgitter, das den Fußweg von den Gleisen trennt. Einige Hunderttausend davon und mehr als 50 Tonnen Metall sind aber für die Eisenbahnbrücke kein Problem. Ein ICE, von denen nicht so wenige täglich über die Brücke donnern, kommt auf über 300 Tonnen. Dass alte Liebe nicht rostet, hat sich leider noch nicht bis zu den Schlössern durchgesprochen. Und so rostet mit ihnen auch das Gitter, weil es nicht mehr gestrichen werden kann.

 

Graz hatte 2021 sein ganz eigenes Schlüsselerlebnis: Ein Student, der sich als Holding-Mitarbeiter ausgab, leerte einen ganzen Geländerabschnitt von seiner emotionalen Last. Der Polizei hat er es als Kunstprojekt verkauft. So ganz sicher weiß übrigens niemand, woher der Brauch der Liebesschlösser kommt und wo er zum ersten Mal aufgetaucht ist. In den letzten Jahren hat er jedenfalls weltweit Fahrt aufgenommen.

 

15 Minuten braucht man von der Erzherzog-Johann-Brücke bis zum Schlüsselmuseum. Die private Sammlung heißt nach ihrem Gründer Schell Collection. Nicht nur das Museum auch eine Route auf den Nanga Parbat ist nach Hanns Schell benannt, dem erfolgreichen Unternehmer, Extrembergsteiger und Sammler. Es ist eine faszinierende Welt, die sich in der Nähe des Lendplatzes auf 3 Stockwerken präsentiert. Seit Mitte der 60er Jahre wird gesammelt, 1992 erfolgte der Umzug in die Wienerstraße 10, heute gibt es dort 13.000 Exponate. Allesamt Kostbarkeiten von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Gezeigt wird, was verriegelt wurde: Kästchen, Truhen, Kassetten, Handschellen, Keuschheitsgürtel, Türen. Kunstvolles Handwerk und geheimnisvolle Mechanismen verbinden sich zu einem fesselnden Erlebnis. Unzählige Schlüssel repräsentieren den jeweiligen Stil einer Epoche – wunderschön in der Gotik, der Renaissance oder im Barock. Mit den Beschreibungen taucht man ein in die jeweilige Zeit und ihre Geschichten. 

 

Elfenbeinkästchen mit Türen und Fächern, geschmückt mit Halbedelsteinen, Email oder feiner Bemalung zierten früher Wohnbereiche und verbargen kleine Schätze. Ebenso wie Schatullen mit reich geschnitzten Einlagen. Fein ziselierte silberne Zuckerdosen waren einstmals versperrt, damit die Dienerschaft nicht zugreifen konnte. Man lernt, dass im Biedermeier Vexiere modern waren. Sie verbargen die Schlüssellöcher. Wenn man das Geheimnis nicht kannte, half einem auch der passende Schlüssel nichts.

 

Bereits in der Steinzeit haben die Menschen versucht ihr Hab und Gut zu schützen, zunächst vor wilden Tieren, dann auch vor anderen Lebewesen. Und dazu brauchte es Türen und Mechanismen sie zu schließen. Damit begann die Kulturgeschichte von Schloss und Riegel. Obwohl man das Museum mit etwas Zeit gut erkunden kann, ist eine Führung empfehlenswert. Dabei werden auch die oft geheimen Schließmechanismen vorgeführt. Die Schell Collection ist in einem Wohnblock integriert. Seit 2022 sorgt eine 10 x 20 Meter große Wandmalerei namens „Magic Key“ an der Zufahrt für Aufmerksamkeit.

 

Ein Schlüsselerlebnis hatte ich vor Kurzem auf dem Grazer Flughafen. Die Dame am Check-in forderte mich auf, den Koffer zu verschließen. Mein Geständnis, dass ich gar nicht wüsste, wie das geht und die Schlange hinter mir, brachten sie dazu, den Koffer unversperrt mitreisen zu lassen. Heute bin ich um einen roten Diamanten klüger. Er steht für einen internationalen Sicherheitsstandard. Solche Schlösser können vom Flughafenpersonal geöffnet und wieder versperrt werden. Aber die Arbeit will ich niemandem antun und mir nicht das Merken eines weiteren Codes. Ein andermal ließ sich die Autotür nur von außen, aber nicht mehr von innen öffnen. Die Verrenkungen beim Aussteigen über den Beifahrersitz wären nicht notwendig gewesen, meinte der nette Mechaniker. Das Fenster öffnen, hinausgreifen und von außen aufmachen sei komfortabler. Und noch etwas: in einer meiner Schubladen scheint es einen geheimen Schlüsseltreffpunkt zu geben. Dort sammeln sich auch Exemplare, von denen niemand weiß, was sie auf- oder zusperren. Dass früher Haustor, Wohnung, Keller und Briefkasten eines eigenen Schlüssels bedurften, kann man sich schon gar nicht mehr vorstellen. Schon eher, dass die Tage des Schlüssels gezählt sind. Brutal abgelöst von Karten, Codes, Smartphones und Fingerabdrücken. Aber es gibt ja immer noch das Grazer Schlüsselmuseum.

 



Die Schell Collection hat einen ausführlichen Internet-Auftritt und ist Mo, Di, Do und Fr von 10.00-16.30 sowie am Mi von 10.00-18.30 geöffnet. Fixe Führungen gibt es jeden Montag um 10.00 und jeden Mittwoch um 16.30 * Interessantes zur Geschichte des Schlüssels auf wikipedia