Hirnschmalz

Dass AVL List eine Gehirnskulptur als Symbol gewählt hat, ist naheliegend. Die Innovationen der Grazer Firma sind über Jahrzehnte hinweg bahnbrechend. Auch intelligente Kooperationen sind Teil der erfolgreichen Strategie.

 

Wer weiß, was ein Determinativkompositum ist? Nein, nichts Technisches. Aber Hirnschmalz oder Denkvermögen oder Erdäpfelsuppe. Also eine Zusammensetzung von Wörtern, wo das erste Wort das zweite näher bestimmt. Unser Hirnschmalz lebt übrigens nur in Österreich und Bayern, aber da ziemlich gut. AVL zum Beispiel entwickelte sich aus einem Ingenieurbüro des Firmengründers Hans List zu einem hochmodernen Technologiekonzern. Stand früher die Konstruktion von Kfz-Motoren im Mittelpunkt, so sind es heute Messgeräte für deren Entwicklung. Mit der Übernahme der Geschäftsführung 1979 durch den heutigen Firmenchef Helmut List begann die Ära der Internationalisierung und der Erweiterung der Antriebsarten.

 

AVL ist das weltweit größte unabhängige Technologieunternehmen für die Entwicklung, Simulation und das Testen von Mobilitätslösungen. Mehr als 12.000 Mitarbeitende sind bei AVL tätig, ca. 4000 in Graz. Die Adresse der Konzernleitung und der Forschungs- und Entwicklungszentrale ist der Hans-List-Platz 1, eigentlich mitten in der Stadt, nicht einmal einen Kilometer vom Lendplatz entfernt.

 

In der langen Nacht der Forschung konnte man einige Testgeräte live erleben. Die Autoindustrie kommt heute nicht mehr an AVL vorbei. Jede noch strengere Richtlinie für Emissionswerte ist ja nur so viel wert, wie sich deren Einhaltung messen lässt. Dasselbe gilt für technische Neuerungen, deren Wirkung ebenfalls überprüfbar sein muss. Und das alles für Unternehmen in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Standards und unterschiedlichen Rechtsvorschriften. Wenn die Autoindustrie das Beste aus einem geplanten Fahrzeug herausholen will, bestellt sie bei AVL einen digitalen Zwilling. Nicht gerade billig, aber hilfreich. Damit können zum Beispiel Aerodynamik, Sicherheit oder Witterungsschutz getestet, die Entwicklung beschleunigt und die spätere Produktion optimiert werden. AVL verkauft Einzelmessgeräte genauso wie komplette Testanlagen. In modernsten Kompetenzzentren wird tagtäglich an der Zukunft der Mobilität gebastelt. Neuartige Getriebesysteme, innovative Batteriekonzepte, Wasserstoff- und Brennstoffzellen und Sensoren von Fahrerassistenzsystemen werden dort entwickelt. Der Exportanteil des Unternehmens liegt bei 97 Prozent. 

 

AVL will weiter hoch hinaus. Zumindest bis zum Mond. Es gibt bereits einen Auftrag der Nasa für die Entwicklung eines Mondfahrzeuges. AVL wird dabei seine Expertise für batterieelektrischen Antrieb, Lenkung, Federung und das autonome Fahren einbringen. Die Nasa sieht den Mond als Zwischenstation für künftige Marsmissionen. Vielleicht geht es also bald noch höher hinaus. Schon seit 2023 gibt es eine Kooperation mit Microsoft. Der weltweit größte Softwarehersteller hat AVL zum strategischen Partner gewählt. Damit ist auch klar, welche Bedeutung das Grazer Unternehmen im internationalen Umfeld hat. Das voll digitalisierte Auto ist wohl ein Traum von Microsoft, hoffentlich sorgt AVL dafür, dass man damit auch fahren kann. Zusammenarbeit ist nicht nur international ein wichtiges Thema. AVL war 1995 Initiator des steirischen Autoclusters, des überhaupt ersten Clusters in Österreich. Was gemeinsam mit Steyr Daimler Puch und Chrysler Eurostar begann, entwickelte sich zum ACstyria Mobilitätscluster mit über 300 Betrieben aus den Bereichen Automotive, Rail Systems und Aerospace. Einer von vier Euros wird in der Steiermark in der Mobilitätsindustrie erwirtschaftet.

 

Obwohl sogar das niederländische Königspaar zum Besuch von AVL List mit dem Zug aus Wien angereist ist, fahre ich selbst eher leidenschaftslos mit den Öffis. Mein 18-jähriger EOS hat zur nächsten Generation gewechselt und ich besitze ein Klimaticket. Manchmal nutze ich „mein“ tim-Auto, einen VW ID.3. Für jemanden ohne Erfahrung mit Elektroantrieb ist das eine Herausforderung. So ein E-Auto beschleunigt nämlich unerwartet rasant. Außerdem spielt es den Oberlehrer. Wer nicht blinkt, darf nicht überholen. Das soll in neueren Autos schon Standard sein. Wahrscheinlich gibt es bald nach jeder Fahrt ein Zeugnis, womöglich unterschrieben von AVL List. Tim heißt täglich.intelligent.mobil und ist ein Mobilitätsangebot der Holding Graz. Bei mir ums Eck ist einer von 29 Standorten, die Reservierung erfolgt elektronisch. Um zur Helmut List-Halle zu kommen, brauche ich keinen Leihwagen, die Öffi-Anbindung ist perfekt. Die umgebaute Fabrikshalle mit 2400 Sitzplätzen wurde 2003 eröffnet und ist ein bedeutender gesellschaftlicher Beitrag des Grazer Top-Unternehmer-Ehepaares List. Bei meinem letzten Besuch, einem Styriarte Konzert, konnte man noch im Freien einen Drink nehmen. Jetzt geht es schon ans Heizen. Temperaturschwankungen sind auch für’s Auto nicht so fein, aber AVL hat natürlich eine Lösung – ein effizientes Thermomanagement.

 



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