Das Burgtor in Graz ist nicht nur Zeugnis einer weit zurückliegenden Epoche, sondern auch ein Erinnerungsort an eine Zeit, die gar nicht so lange her ist. Eine ungewöhnliche Inschrift gibt Anlass zum Nachdenken.
Zwischen Burg und Stadtpark geht man durch das Burgtor. Die Inschrift in einem der Torbögen haben wohl schon viele bemerkt. Aber wer hat den Text wirklich gelesen? Der heute 83-jährige deutsche Künstler Jochen Gerz hat ihn dem ehemaligen NS-Landeshauptmann in den Mund gelegt und das Schweigen der Mehrheit zum Thema gemacht.
„Passant, willst du wissen, wo du stehst? Willst du wissen, Unschuldiger, wer du bist? Wie du dich krümmst, wenn du der Macht verfällst, zu ihrem Spielball und Opfer wirst? Willst du wissen, wie du vor Schmerz schreist? Ich, Sigfried Uiberreither alias Friedrich Schönharting, ging hier vom 9. Juni 1938 bis 31. März 1940 meiner Arbeit nach. Ich brachte als Landeshauptmann der Steiermark und in der Ausübung meiner sonstigen Ämter viele Menschen um. Ich tat es nicht alleine. Ich tat es nicht selbst. Ich hatte Mitarbeiter. Wenn du durch das Tor gehst, schäme dich nicht nur für mich. Wer suchte nach mir? Wer stellte mich vor Gericht? Warum hast du geschwiegen? Wer hat dich zum Komplizen gemacht?“
Uiberreither studierte in Graz Jus. Als er 1938 Landeshauptmann wurde und Vertreibungen, Folterungen und Erschießungen anordnete, war er gerade einmal 30 Jahre alt. Danach wurde er Reichsstatthalter. Nach dem Krieg verhaftet, konnte er 1947 flüchten und nahm als Friedrich Schönharting eine neue Identität an. Er ist 1984 gestorben.
Das Grazer Burgtor ist das älteste erhaltene Stadttor. Es wurde bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtet, also 100 Jahre vor der Burg. Namen und Gesamtbild erhielt es erst später. Das Tor war ab 1479 trotz vieler Proteste der Bürgerschaft über 300 Jahre verschlossen. Den Erinnerungsort an den Nationalsozialismus und seine Opfer gibt es seit 2008.
Damals so um 1350 herum war nicht das Burgtor, sondern der Handelsweg zwischen dem ersten Tor in der Murgasse und dem inneren Paulustor in der Sporgasse bedeutend. Eine Ringmauer umschloss das noch kleine Stadtgebiet. Im Inneren ca. 2000 Menschen, Kaufleute und Handwerker, ein Marktplatz, das Franziskanerkloster, der erste Uhrturm, dessen Glocke auch das Öffnen und Schließen der Tore ankündigte. Die Mauer bot Schutz, die Tore brachten Einnahmen aus dem Handel. Die Erzherzog-Johann-Brücke, die nicht und nicht die Hauptbrücke in unseren Köpfen ersetzen will, war der einzige Übergang über die Mur zwischen Leibnitz und Frohnleiten. Außerhalb der Mauern gab es Bauern und die Grundherren hatten das Sagen. Und natürlich trieben sich auch zwielichtige Gestalten herum und manchmal Feinde.
So merkwürdig es klingt, Stadtmauern waren überall und immer in Bewegung. Sie wurden je nach Entwicklungsstand der Kriegstechnik oder des Städtebaus um- und ausgebaut, verlegt oder abgerissen. Die Ringmauer verschloss zum Beispiel anfangs die Sackstraße, die daher ihren Namen hat. Schon beim Reinerhof am Beginn des heutigen Schloßbergplatzes konnte man nicht weiter. Die Mauer ging steil hinauf Richtung Uhrturm. Und dort findet sich noch ein Stück Mittelalter mit einem Torbogen zum Herbersteingarten. Bald war ein Durchbruch angesagt und das erste Sacktor entstand, zwei weitere sollten folgen. Auch ein zweites Murtor näher an der Brücke wurde errichtet, ebenso das Eiserne Tor und das Neutor.
Das zweite noch erhaltene Tor ist das äußere Paulustor. Es wurde so um 1600 gebaut und war schon Teil des neuzeitlichen Befestigungsgürtels. Hat jemand mitgezählt? Es sind bereits 10 Tore. Die Nummer 11, das Franzenstor am unteren Ende der Burggasse, war eine Art Schaubogen, wurde erst 1835 errichtet und nicht viel später wieder abgerissen. Der Opernring brauchte Platz. Auch wenn der Verlauf der mittelalterlichen Ringmauer nicht überall gesichert ist, in der Schmiedgasse und in der Frauengasse weisen entsprechende Steine am Boden daraufhin.
Am Burgtor gibt es das grün umwucherte Blumengeschäft der Familie Hayek in unmittelbarer Nähe der mahnenden Inschrift gegen das Schweigen. Ich denke dabei an die wohl bekannteste Widerstandsgruppe der NS-Zeit, die „Weiße Rose“. Die Geschwister Scholl, die beide noch studierten, haben ab 1942 mit Flugblättern vor allem junge Leute zum Widerstand aufgerufen. Ein Jahr später wurden sie beim Verteilen erwischt und hingerichtet. Hans Scholl wollte am Ende des Krieges nicht „mit leeren Händen vor der Frage stehen, was habt ihr getan“. Was hätte ich getan? Ich fürchte, ich hätte versucht möglichst unbemerkt und unbeschadet durchzukommen. Auf der Homepage des Burgfloristen zieren das Schaufenster tatsächlich weiße Rosen, zu bewundern sind derzeit aber Mohnblumen.
Es gibt einen bewegenden Briefroman einer amerikanischen Schriftstellerin mit dem Titel Adressat unbekannt aus dem Jahr 1938. Es geht um die Freundschaft von Geschäftspartnern – einer jüdisch, einer Anhänger des NS-Regimes – und ein subtiles Ende.
Ich habe weiße Rosen gekauft, sie stehen für die Sehnsucht nach dem Ideal einer freien und mutigen Gesellschaft …
Mehr über das Mahnmal im Torbogen * Die Grazer Stadttore im Austria Forum * Über die Weiße Rose * Kressmann Taylor, Adressat unbekannt, Rowohlt * Der Burgflorist: www.blumen-hajek.at/burgflorist