Ab in die Tropen

Bali, Costa Rica oder die Malediven? Es braucht gar keine Fernreise, um das Tropenklima hautnah zu erleben. Der Botanische Garten in Graz bietet das ganze Jahr über Dschungelatmosphäre bei freiem Eintritt.


Und das in einer sehenswerten Gewächshausarchitektur. Wie gläserne Raupen legen sich die drei Gebilde übereinander und schaffen mit technischen Raffinessen gleich vier Klimazonen. Es schaut aus, als wären sie dem Friendly Alien, unserem Kunsthaus, vorausgeschickt worden, um die architektonische Zukunft nach Graz zu holen. Die Glashäuser in der Schubertstraße nicht weit vom Hilmteich sind eine Kreation von Volker Giencke und wurden 1995 eröffnet. Giencke ist Kärntner (das muss gesagt sein) und ein Architekt von internationalem Ruf. Die Gewächshäuser aus Stahl und Acrylglas sind so konstruiert, dass sie das einfallende Licht fast zu 100 Prozent nutzen können. Um ins Tropenhaus und die anderen Klimazonen sowie die verschiedenen Ebenen zu kommen, gibt es Brücken und Stege mitten durch die eindrucksvolle Vegetation.

 

Der Botanische Garten besteht aber nicht nur aus den ungewöhnlichen Gewächshäusern, sondern auch aus einem altehrwürdigen Palmenhaus und einem Freigelände. Dort entfaltet sich ab April eine unglaubliche Blütenpracht, aber auch derzeit spitzeln schon Winterlinge, Schneeglöckchen und Krokusse aus der Erde. 

 

Sammeln, Erforschen, Bewahren und Vermitteln – so sieht der Botanische Garten, der an die Grazer Universität angeschlossen ist, seinen Auftrag. Die wissenschaftliche Leitung oder Begleitung kennzeichnet auch die weltweit 1800 Botanischen Gärten und jene 400, die es davon in Europa gibt. Der älteste der Welt, der sich noch an seinem ursprünglichen Platz befindet, ist der in Padua. Obwohl dieses Wissen erst jetzt zu mir gefunden hat, freue ich mich, dass ich schon einmal dort war. Unser Garten ist 250 Jahre jünger als jener in Padua und hat bereits einen Umzug hinter sich. Erzherzog Johann ließ ihn 1811 zeitgleich mit der Gründung seines Joanneums errichten. Von der Neutorgasse bis zum Jakominiplatz wuchsen schon bald Tausende Pflanzen aus aller Welt und der steirischen Heimat. So wie sich die Pflanzen vermehrten, wuchs die Bevölkerung und mit ihr die Lust an Wohnflächen in der Stadt. 1874 kam es gegen den massiven Widerstand der Grazerinnen und Grazer zur Übersiedlung in die Schubertstraße. Dort wurde dann bald ein Palmenhaus errichtet. Als es den neuen Gewächshäusern weichen sollte, widersetzte sich die Bevölkerung erneut. Diesmal mit Erfolg. Das alte Palmenhaus blieb erhalten, wurde unter Denkmalschutz gestellt und kürzlich renoviert.

 

Früher war das Reisen mühsam und umständlich, die Faszination exotischer Pflanzen jedoch groß. Und so kamen sie in unsere Breiten. Zuerst im Winter mit Holzverschlägen überbaut, entstanden später – als die Pflanzkübel erfunden und die Pflanzen mobil wurden – Orangerien. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine neue Gewächshausarchitektur aus Stahl und Glas. Das Palmenhaus im Schlosspark von Schönbrunn in Wien soll das größte dieser Art auf dem europäischen Kontinent sein. Die Gewächshäuser im königlichen Schlosspark in Brüssel sollen die schönsten sein. Der Park ist nur 3 Wochen im Jahr zugänglich. Welch glücklicher Umstand, dass das im Grazer Botanischen Garten umgekehrt ist. Er hat nur 2 Wochen geschlossen und ist sonst das ganze Jahr über jeden Tag geöffnet. Wer also gerade Fernweh hat, kann es im Tropenhaus jederzeit stillen. Und das garantiert stechmücken- und giftschlangenfrei. Bei wem darüber hinaus noch Lust auf botanisches Wissen aufkeimt, bucht eine Sonderführung. Im Feber sind sie am Abend, im März haben sie das Blumenmeer des Frühlings zum Thema, im Mai die biologische Vielfalt, im Juni die Kräuter.

 

Ob Pflanzen schlafen? Bei der Abendführung mit der weiblichen Mehrheit meiner Wahlfamilie, gab es die Antwort: Ja, sie schlafen. Sie lassen sich jeden Abend ein bisschen hängen. Äste, Blätter und Stängel sinken nach unten, die Pflanzen schließen die feinen Öffnungen ihrer Blätter und manche ihre Blüten. Erstaunlich: Die Mimose klappt bei Berührung sofort die Blätter zusammen und senkt deutlich den Stiel. Raffiniert: Es gibt auch tropische Kesselfallenblumen im Gewächshaus. Damit sie bestäubt werden, locken sie Fliegen mit für uns üblen Gerüchen an. Die Fliege rutscht dann an den Innenwänden der Blüte abwärts. Sobald sie im Kessel gelandet ist, versperren ihr die jetzt aufgestellten Härchen den Rückweg. Nach einigen Stunden, wenn die Bestäubung gelungen ist, glätten sich die Härchen wieder und die wahrscheinlich schwer traumatisierte Fliege kann hinaus.

 

Auf dem Foto stehen wir vor einer fotogenen Bananenstaude mit Früchten. Die Stauden bestehen zur Gänze aus Blättern, die unten ganz eng und damit stammähnlich übereinander liegen. Wir essen neben 20 kg heimischer Äpfel pro Kopf und Jahr auch 14 kg Bananen. Umgerechnet sind das 2 in der Woche. Wichtig: Es gibt nur in den Bio-Bananen keine nachgewiesenen Pestizidrückstände. Im Gewächshaus des Botanischen Gartens kennt man so etwas ohnehin nicht, aber wann genau die Bananen reif und ob sie essbar sind, darauf gab es keine Antwort. Ich werde einfach wieder hingehen …

 



Botanischer Garten Graz: https://garten.uni-graz.at, Öffnungszeiten täglich: 16. September bis 14. Mai 8-14.30, 15. Mai bis 15. September 8-16.30, geschlossen vom 24. Dezember bis 6. Jänner * Foto unten Mitte: königliche Gewächshäuser Brüssel, alle anderen Botanischer Garten Graz