Der Garten im Turm

Im 13. Stock des Science Tower gibt es einen Forschungsgarten. Aber nicht nur der Garten, sondern der ganze Turm ist ein wissenschaftliches Experiment. Es geht um die Zukunft unserer Ernährungs- und Energieversorgung.

 

In der Nähe des Grazer Hauptbahnhofs und von Weitem zu sehen, steht der Science Tower. In dem attraktiven Büroturm wird von außen unsichtbar in der 13. Etage auf 300 Quadratmetern Urban Farming betrieben. Wobei betrieben eigentlich untertrieben ist, denn im High-Tech-Gewächshaus werden Aussaat und Wachstum von Gemüse, Obst und Kräutern wissenschaftlich begleitet. Und nicht nur das, ein spezielles Glas wandelt Licht in elektrische Energie um und hat so nebenbei positive Auswirkungen auf das Wachstum der Pflanzen.

 

Diese Energiegläser sind Teil der äußeren Fassade, die den Tower wie ein Mantel umhüllt. Das Kühlen und Heizen funktioniert über 12 Tiefenbohrungen mit Erdwärme, eine automatische Beschattung sorgt für ein angenehmes Büroklima. Der Turm punktet mit vielen technischen Innovationen, aber nicht mit seiner Höhe. Denn die Herz-Jesu-Kirche ist fast doppelt so hoch und auch das Elisabeth-Hochhaus überragt das 60 Meter hohe Büro- und Forschungsgebäude um 15 Meter. Viel wichtiger sind aber ohnehin die inneren Werte. Der Science Tower ist das erste Gebäude in Österreich, das die Produktion von Strom, Nahrung und Stadtklima verbindet. Es sind die Expertinnen und Experten von LIFE, dem Institut für Klima, Energie und Gesellschaft des Joanneum Research, die mit Partnerinnen und Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft an diesem Konzept arbeiten.

 

Im Science Tower wird erforscht, wie eine nachhaltige und professionelle Lebensmittelproduktion auf städtischen Dachflächen gelingen kann. Die insgesamt 19 Beete mit unterschiedlicher Bepflanzung leben in Partnerschaften mit Bellaflora, Spar, den Steirischen Gemüsebauern oder der Landwirtschaftlichen Fachschule Grottenhof. Deren Beet enthält zum Beispiel Rohnen, Blattsenf, Hirschhornwegerich, Mangold und Winterkresse. Grottenhof ist nicht nur eine Schule, sondern auch ein landwirtschaftlicher Lehr- und Versuchsbetrieb. Ein Spaziergang im Gelände in der Krottendorferstraße ist ebenso zu empfehlen wie der wöchentliche Biomarkt.

 

In Graz gibt es drei kommerzielle Urban Farming Angebote - die Morgentaugärten in Mariatrost, Andritz und Straßgang, gegründet von einem oberösterreichischen Bio-Pionier. Man mietet sich für eine Saison einen Selbsterntegarten zu 20, 40 oder 60 m². Die kleinste Variante kostet 162 Euro pro Saison. Die Böden werden aufbereitet und ein Teil davon im April mit Biogemüse bepflanzt. Erst dann beginnt der persönliche Einsatz, der mit 1,5 Stunden pro Woche angegeben wird. Die Bio-Samen und -Pflanzen für das restliche Beet erhält man zu bestimmten Terminen vor Ort. Gartengeräte und Wasseranschluss sind vorhanden. Die etwa 20 verschiedenen Sorten ergeben geschätzte 50 kg Biogemüse.

  

Die Nutzung von Gemeinschaftsgärten nennt man Urban Gardening im Gegensatz zum großflächigen und kommerziellen Farming. In Graz gibt es bereits 32 solcher Gärten. Einer ist ganz in meiner Nähe am Schwimmschulkai. Es sind die Gartenzwerge Geidorf, die seit Kurzem ein „e“ verloren und ein „*innen“ dazu bekommen haben. Ich plädiere allerdings für Gartenzwerglein, die sind noch klein und müssen nicht gegendert werden. Es gibt dort einen sehr netten öffentlichen Bereich mit Bänken, Kräutern und Blumen und einen, der den Mitgliedern vorbehalten ist. Der öffentliche Teil ist eine der Voraussetzungen für die Förderung durch die Stadt Graz. Diese Unterstützung dient unter anderem „der ökologischen und lokalen Lebensmittelversorgung sowie der klimafreundlichen Gestaltung des Stadtraumes“. Die Allmende bei der Leechkirche ist auch so ein Gemeinschaftsgarten. Bei dem kleinen Teich, der Kräuterspirale, den Hochbeeten und der Liegewiese sind Besucherinnen und Besucher willkommen. Der erste Grazer Gemeinschaftsgarten soll in Mariagrün schon vor rund 30 Jahren gegründet worden sein. Die meisten anderen Gärten sind erst in den letzten Jahren entstanden. 

 

Als Urban Gardening bezeichnet man auch das Gärtnern im eigenen Beet oder auf dem Balkon. Bei mir wachsen zurzeit Paradeiser. Dann noch Chilis, aber unabsichtlich. Ich dachte es wären Spitzpaprika. Und Schnittlauch. Im Vorjahr gab es auch Asia-Salat, der dann blühend noch lange hübsch anzusehen war. Ich liege mit meinen Pflanzen trotz gärtnerischer Unkenntnis voll im Trend. Anblick und Ernte steigern auch mein Wohlbefinden, aber als Beitrag für Umwelt und Klima geht das nicht durch. Städtische Nutzgärten werden jedoch für die ökologisch verträgliche Versorgung bald eine wichtige Rolle spielen. Immerhin gibt es heute schon 34 Großstädte mit mehr als 10 Millionen Menschen. In Tokio, der weltweit größten Stadt, betreibt ein Personal-Dienstleister eine Urban Farm. Über die Außenfassade und innenliegende Anbauflächen werden die Mitarbeitenden seit Jahren mit frischen Lebensmitteln versorgt. Das Architektenteam ist aus New York. Das gibt doch Hoffnung. Vielleicht ist der Science Tower mit der innovativen Energieversorgung und dem Roof-Top-Farming das Modell für die Bürowelt der Zukunft. Eigentlich schade, dass ich schon in Pension bin …

 



Science Tower in der Waagner-Biro-Straße 100: www.science-tower.at * Mehr über das Dachgartenprojekt: www.rooftopfarming.at * Alle Grazer Gemeinschaftsgärten und anderes Wissenswertes auf www.nachhaltig-in-graz.at * Urban Farming in Graz: www.morgentaugaerten.at