Die Frau der Ringe

Es sind eigentlich zwei Hälften eines Ringes, die zu Ehren der ersten Grazer Ärztin Oktavia Aigner-Rollett aufgestellt wurden. Eine Hälfte beim Paulustor, die andere bei der Universität. An beiden Orten hat sie gewirkt.

 

Oktavia Aigner-Rollett wurde 1877 geboren und besuchte die Schule zu einer Zeit, als Mädchen der Besuch von Gymnasien und damit Matura und Studium noch verwehrt waren. Es war gängige Meinung, dass Bildung schaden könne – natürlich nur den Mädchen. Aigner-Rollett kam allerdings aus einem bildungsaffinen Umfeld: ihr Vater war Rektor der Universität. So besuchte sie nach der sechsjährigen Schulpflicht, die Maria Theresia für Buben und Mädchen eingeführt hatte, das Grazer Lyzeum, die erste sechsklassige Schule für Mädchen in der Monarchie. Im Anschluss absolvierte sie die Lehrerinnenausbildung. Ihr Traum vom Medizinstudium sollte sich kurze Zeit später aber doch noch erfüllen.

 

Die Geschichte erzählt, dass über 300 Jahre lang – von 1585 bis 1897 – Frauen an der Universität Graz vom Studium ausgeschlossen waren. 1897 erfolgte in der Monarchie zunächst die Zulassung für das Studium der Philosophie, 1900 für jenes der Medizin. Oktavia machte mit 23 Jahren die nun erlaubte Externisten-Matura, begann zu studieren und promovierte 1905.

 

Die Geschichte erzählt weiter, dass das erste Mädchengymnasium mit Matura 1912 zugelassen wurde, vor gerade einmal 110 Jahren. Die erste ordentliche Professorin an der Uni Graz gab es erst 1949. Noch 1970 lag der Anteil der Studentinnen bei 32, jener der Professuren bei 2 Prozent. Heute sind es 62 und 30 Prozent. 

 

1907 eröffnete „Fräulein Dr. Oktavia Rollett“ ihre Praxis in der Humboldtstraße 17 und war dort bis zu ihrem 76. Lebensjahr als praktische Ärztin tätig. Sie heiratete, hatte drei Söhne und war als Schulärztin und in Frauenvereinen aktiv. Sie starb 1959 mit 82 Jahren und liegt auf dem Zentralfriedhof begraben. Die beiden Ringhälften aus dem Jahr 1997 sind aus vergoldetem Stahl. Der Durchmesser des Ringes entspricht ihrer Körpergröße. Für Neugierige heißt es Nachmessen, denn alle Artikel hüllen sich darüber in Schweigen. Die Neigung der Ringe folgt einmal dem Sonneneinfallswinkel ihrer Geburtsstunde und einmal jenem ihrer Sterbestunde. Eine Ringhälfte steht am Paulustor, wo sie kurz im Allgemeinen Krankenhaus tätig war, die andere ist von ihrem Geburtsort in der Harrachgasse übersiedelt und steht seit Mai 2022 neben dem Hauptgebäude der Universität. Im Zuge der Restaurierung wurden die Monitore durch einen hoffentlich langlebigeren QR-Code ersetzt. Er sollte auch vom Foto aus funktionieren. So können Informationen sowohl zu Oktavia Aigner-Rollett wie zur Skulptur und zu frauenspezifischen Themen abgerufen werden.

 

Ursprünglich hätte Aigner-Rollett die steirische Ehrengalerie im hinteren Burghof ergänzen sollen, doch Büsten waren für die Künstlerin Barbara Edlinger schon vor mehr als 25 Jahren nicht mehr zeitgemäß. Der Ehrenring ist als Neuinterpretation von Erinnerungszeichen zu verstehen. Auch ein Pflegewohnheim am Rosenhain trägt ihren Namen. Es ist seit Kurzem in der Aigner-Rollett-Allee, die die bisherige belastete Adresse ersetzt. Gegeben hat es die Allee bereits, sie wurde einfach verlängert. An der Universität ist eine Aigner-Rollett Gastprofessur für Geschlechterforschung eingerichtet.

 

Damit ist Oktavia Aigner-Rollett ein gutes Beispiel für Möglichkeiten einer öffentlichen Erinnerungskultur: Denkmal, Straßenname, modernes Informationsmedium und Einbeziehung in die aktuelle Diskussion. Bei ihr ist man zudem auf der sicheren Seite – kein noch so kritischer Blick wird Belastendes zutage fördern. Es sei denn jemand dreht das Rad der Zeit zurück, was ja leider in anderen Ländern passiert. Irgendwann wird sich aber so oder so die Frage stellen, wie viel Vergangenes der Zukunft zumutbar ist.

 

Ich dachte zunächst, es gibt bei mir keinen Ring außer jenem von J.R.R. Tolkien. Für alle, die vielleicht einmal an einem Millionenquiz teilnehmen möchten: J.R.R. steht für John Ronald Reuel. Aber dann ist mir der Ring meiner verstorbenen Mutter eingefallen. Erinnerungskultur ist ja auch etwas sehr Persönliches. Bei mir gehört dieser Ring dazu, den ich nie tragen würde, außer für ein Blog-Foto. Ein Blazer, den meine Mutter mir genäht hat, hängt im Kasten. Die früher militanten Widerstandsreflexe sind vergessen. Auch Küchengeräte können Erinnerungsstücke sein. Kein neuer Gurkenhobel hat je so gut geschnitten wie das Erbstück meiner Eltern. Sorgen macht mir seit vielen Jahren ein Pelzmantel, ein aus der Zeit gefallener Herzenswunsch einer anderen Generation. Auf Willhaben gibt es 1935 Angebote und für die Caritas finde ich ihn unpassend. Warum ich die Eheringe der Eltern aufgehoben habe, weiß ich allerdings nicht. Sie sind extrem schmal und ohne Gravur. Für Herr der Ringe gibt es übrigens gerade eine Fortsetzung, vielleicht wird ja auch das Leben von Oktavia Aigner-Rollett einmal verfilmt – als Inspirationsquelle für mutige Frauen …

 



Falls der QR-Code doch nicht funktioniert, hier der Zugang  * Ein Hinweis auf Aigner-Rollett findet sich auch in der sehenswerten Dauerausstellung 360 Graz www.360.grazmuseum.at * Auf dem Foto unten rechts ist das Haus in der Humboldtstraße 17