Wenn Strassennamen Geschichte(n) erzählen

Es gibt so um die 1.700 topografische Bezeichnungen in Graz. Sie sind ein Spiegel der Geschichte und eine Fundgrube an Geschichten. Und für Ostern ist auch etwas Passendes dabei.

 

Meine Osterauswahl fällt auf die Kalvarienbergstraße. Sie ist in Spaziernähe, seit 1786 dokumentiert, aber es gibt sie sicher schon länger. Der Kalvarienberg war bei seiner Entstehung im 17. Jahrhundert die erste Nachbildung des Jerusalemer Kreuzigungshügels innerhalb der Habsburgermonarchie. Mit der barocken Kirche davor ist er eine Kostbarkeit unter den Grazer Sehenswürdigkeiten. Die Kalvarienbergstraße selbst ist bis auf ihr Ziel eigentlich unauffällig, wären da nicht zwischen den Wohnhäusern die wunderschönen Bildstöcke als Teil des früheren Prozessionsweges.

 

Dass Straßen Namen und Häuser Nummern haben, scheint uns so selbstverständlich, dass wir nicht darüber nachdenken. Allerdings ist eine Systematisierung der Hausnummern erst seit 1770 von Maria Theresia angeordnet. Aufmüpfige Bürgerinnen und Bürger haben die damals aufgemalten Zahlen teilweise abgekratzt, sie haben sich wohl in ihren Freiheitsrechten bedroht gefühlt. Denn das System diente zur Festlegung von Bevölkerungszahlen, Besitzverhältnissen und Abgabeneinhebungen. Wegen des raschen Wachstums der Stadt gab es bald weitere Anpassungen und schließlich 1870 die Einführung eines Systems, das es woanders auch schon gab – die Nummern steigen von der Stadtmitte zum Stadtrand an, rechts sind es die geraden, links die ungeraden Zahlen, dahinter liegende Häuser haben ergänzende Buchstaben.

 

Vor einiger Zeit wurde intensiv über geschichtlich belastete Namen diskutiert. Eine Kommission hat sich damit befasst und von den 1.700 Straßennamen 82 als bedenklich eingestuft, 20 als sehr bedenklich. Von einer Umbenennung hat die Stadt Abstand genommen, stattdessen werden Zusatztafeln angebracht, die die Geschichte aus heutiger Sicht erklären. Ich finde die Lösung gelungen, obwohl ich jetzt erst weiß, dass früher häufig umbenannt wurde. Die Körösistraße, in der ich wohne, hat 1870 ihren 4. Namen bekommen. Nach dem 1. Weltkrieg wurden Bezeichnungen der Monarchie entfernt, 1938 solche aus dem Ständestaat und 1945 diejenigen, die mit dem nationalsozialistischen System verbunden waren.

 

„Meine“ Körösistraße ist nach Josef Körösi benannt. Da habe ich Glück gehabt, er ist unbedenklich. Gleich zu Beginn der Straße bei der Keplerbrücke steht eine Tafel, auf der er als Gründer der Maschinenfabrik Andritz beschrieben ist. Wenn diese Tafel nicht wäre, wäre mir die Namensherkunft der Körösistraße genauso verborgen geblieben wie die all meiner anderen bisherigen Wohnsitze in Graz, Klagenfurt oder Wien. Dabei ist es in Graz total einfach, die Herkunft von Straßennamen ausfindig zu machen. Es gibt ein Buch darüber, das schon in der 4. aktualisierten Auflage verfügbar ist, eine Art Grazer Bestseller. Rund um mich herum gibt es eine Häufung von Promi-Namen, auch welche, wo man glaubt, man weiß eh Bescheid: Grillparzer, Eichendorff, Richard Wagner, Johann Strauß, Theodor Körner. Doch halt … bei Theodor Körner, bei dem wir vielwissend an einen Bundespräsidenten denken, passt etwas nicht. Der Straßenname wurde schon 1899 festgelegt und gilt einem deutschen Dichter und Freiheitskämpfer. Der Has(ner)platz um’s Eck, der auch fast als Ostergeschichte durchgegangen wäre, ist einem Unterrichtsminister gewidmet, dem Begründer des Reichsvolksschulgesetzes. Frauen sind natürlich schwer unterrepräsentiert, aber mit der neuen Richtlinie sollten wir so in ein- bis zweihundert Jahren aufgeholt haben. 

 

Schon sehr spannend, was sich so in Verbindung mit der Adresse getan hat. Sie hat es wirklich nicht verdient auf eine so banale Funktion wie die Paket- oder Essenszustellung reduziert zu werden. Jetzt, wo ich einmal geläutert bin, werde ich mich auch um jene 15 Adressen kümmern, an denen ich schon gewohnt habe. Sieben davon sind in Graz. Meine Umzugsleidenschaft halte ich nicht für pathologisch, sie ist einigen Job- und Beziehungswechseln geschuldet und auch der Veränderung von Ansprüchen und Einkommen. Übrigens ist das nichts gegen Ludwig van Beethoven, er soll je nach historischer Quelle 68 bis 80 mal umgezogen sein. Er war aber auch ein ziemlich unleidlicher Zeitgenosse, was ich für mich dezidiert ausschließe und durch Zeugenaussagen belegen kann.

 

Noch was zu Josef Körösi: er gründete die Maschinenfabrik Andritz 1852, die heute noch als Andritz AG firmiert und ca. 28.000 Beschäftigte in 40 Ländern hat. Interessant, dass die Einheimischen damals gegen eine Bewilligung für die Eisengießerei waren. Und ich dachte, früher war alles anders. Körösi sorgte in vorbildlicher Weise für seine Angestellten, errichtete einen Kranken-, Invaliden- und Pensionsfonds, stellte eigene Lehrende für deren Kinder an und sorgte auch für die Witwen und Waisen. Ein merkwürdiges Warmwalzgerüst aus alter Zeit steht fast am Beginn der Körösistraße. Die Beschriftung ist aber schon einige Zeit nicht mehr lesbar, liebe Stadtzuständige.

 

Man könnte sich seinen Wohnsitz eigentlich auch nach dem Straßennamen aussuchen. Etwas nicht Historisches und Motivierendes vielleicht? Die Fröhlichgasse? Sie benennt nur leider keinen Gemütszustand, der Name kommt von einem Herrn Moritz Fröhlich von Feldau. Der Eisenbahnunternehmer hat zumindest für arme Menschen aller Konfessionen eine Stiftung gegründet. Wie wäre es mit der Frohsinnstraße? Da müsste ich nur nach Gleisdorf ziehen …

 



Kubinzky/Wentner, Grazer Straßennamen, Herkunft und Bedeutung, Leykam, in der Graz-Ecke der Buchhandlung Moser im 2. Stock * Richtlinie des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 01.06.1989 in der Fassung vom 14.12.2017 über die Benennung von Straßen, Wegen, Plätzen, Brücken und Parkanlagen unter graz.at * Suche nach Straßennamen in ganz Österreich unter plzplz.at