Offenbar sollte den Schülerinnen und Schülern des Akademischen Gymnasiums am Tummelplatz ein Licht aufgehen. Warum sonst ist an der Fassade seit 2017 eine Skulptur aus Straßenlaternen angebracht. Der Künstler sieht das anders.
Manfred Erjautz nennt die drei ausrangierten Leuchten ein Gewächs urbanen Ursprungs. Tatsächlich schauen sie ja ein bisschen aus wie ein gebundener Leuchtenstrauß. Erjautz ist in Graz geboren, sein Kunstwerk heißt offiziell „Skulpturale Akupunktur“ und bezieht sich auf die Straßenbeleuchtung. Das Akademische Gymnasium, das dafür die Fassade freigegeben hat, ist übrigens eine der ältesten Schulen im deutschen Sprachraum, seit 448 Jahren werden dort junge Menschen unterrichtet. Das Gebäude am Tummelplatz hat natürlich nicht so viele Jahre auf den Mauern, es wurde 1890 fertiggestellt. Der Neubau wurde von Kaiser Franz Joseph I selbst initiiert, nachdem er die alten Räumlichkeiten in der Hofgasse bei einem persönlichen Besuch für unerträglich befunden hatte.
Der Tummelplatz hätte vor 20 Jahren schon einmal in ein besonderes Licht gerückt werden sollen. Damals wurden flimmernde Leuchten in den Boden eingebaut. Die Grazer hatten dafür gleich einen Spitznamen parat: Ufo-Landeplatz. Allerdings war es eine Fehlkonstruktion, die bunten Leuchten haben nicht lange durchgehalten.
Vor etwas mehr als 200 Jahren war es in der Nacht noch zappenduster in unserer Stadt, ab und an sah man vielleicht das Licht von Kienspänen, Fackeln oder Kerzen. Die Geschichte der Straßenbeleuchtung beginnt mit den Öllampen, dann kamen die Gaslaternen und schließlich der Strom. In großen Städten hat die Entwicklung früher eingesetzt. In Graz mit seinen damals 55.000 Einwohnern war es um 1850 so weit: mit der ersten Gaszentrale und einem riesigen Kohlelager mitten in der Stadt, begann der Siegeszug der Gasleuchten.
Und es gibt auch heute noch welche: insgesamt 43 historische Gaslaternen erhellen zwei Wege am Schloßberg und ein Stück der Schubertstraße. Obwohl sie mehr als ein Jahrhundert alt sind, funktionieren sie noch immer tadellos, die Wartung ist natürlich aufwendiger. Die Gaslaternen am Schloßberg sind leicht zu finden: einfach vom Karmeliterplatz aus den Berg hinauf spazieren. Und schon sieht man sie. Sie stehen wie die gesamte Anlage unter Denkmalschutz. Das gilt auch für die hohen Doppellaternen am Eisernen Tor.
Mit dem ersten Stromkraftwerk erleuchteten dann 1894 bereits 6.000 Glühlampen die öffentlichen Plätze und Straßen. Die Bevölkerung war auf 115.000 angestiegen. Gaslicht und elektrisches Licht blieben beide im Einsatz bis die neu entwickelten Leuchtstoffröhren der Ära des Gaslichts ein fast vollständiges Ende bereiteten.
Heute sind es 28.802 sogenannte Lichtpunkte, die Straßen, Gassen, Plätze sowie Geh- und Radwege in Graz erleuchten. Das macht 98 Leuchten pro 1.000 Einwohner. Interessant, dass ein sogenannter Lichtpunkt ca. 150 Euro im Jahr kostet – 70 Euro Energiekosten und 80 Euro Wartungskosten. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2018. Kein Wunder also, dass der Innovationsbedarf hoch ist. So sind in den letzten Jahren fast 9.000 Lichtpunkte auf moderne LED-Beleuchtung um- und ausgebaut worden. Die Umrüstung reduziert den Energieverbrauch auf die Hälfte. Was sich jetzt gerade rasant entwickelt, sind intelligente Steuerungssysteme – die Beleuchtung soll sich dynamisch und effizient an den Bedarf der Bürgerinnen und Bürger anpassen. Wenn niemand den Weg im Dunkeln nutzt, wird die Helligkeit reduziert. Auch die Lichtverschmutzung, also die zu große Helligkeit bei Nacht, kann dadurch, aber auch durch gezielte Lichtlenkung ohne Streuverlust vermindert werden. Das tut Menschen und Tieren gut.
Ich trage mit der Beleuchtung auf meinem Balkon wohl auch einen Teil zur Lichtverschmutzung bei. Aber nur einen ganz ganz kleinen. Vor allem, wenn nur die klassischen Laternen mit den Kerzen zum Einsatz kommen. Wenn es heiß wird, muss ich die Kerzen am Nachmittag in Sicherheit bringen. Sie schmelzen schon durch die Sonneneinstrahlung und nicht erst durchs Anzünden. Früher gab es nur diese Laternen, heute kommen sie für den romantischen Teil des Abends zum Einsatz. Für’s Abendessen oder zum Lesen sind schon modernere Varianten verfügbar: 2 coole Outdoor Leuchten mit 2 Helligkeitsstufen, die per USB-Kabel aufgeladen werden. Natürlich gibt es auch eine normale Deckenleuchte, aber dieses Licht ist absolut uncharmant. Apropos Essen – das niedrige Gewächs, das unmittelbar hinter den Laternen steht, ist genießbar. Es ist Salat.
Wenn dann all die intelligenten Systeme der Grazer Straßenbeleuchtung Wirklichkeit werden, kann ich vom Balkon aus sicher tief in den Sternenhimmel schauen. Vielleicht sehe ich eine Sternschnuppe und bin schnell genug beim Wünschen: Wenn wegen der geringeren Lichtverschmutzung die Insekten zurückkehren, dann sollen sie bitte nicht bei mir Station machen. Und ein oder zwei Lichtpünktchen auf dem Weg vom Murradweg in die Wohnanlage wären auch ganz nett. Da fühl ich mich nämlich manchmal wie vor etwas mehr als 200 Jahren ….
Mehr Licht und weniger Umweltbelastung und 125 Jahre Strom in Graz unter www.energie-graz.at * Von Manfred Erjautz gibt es auch eine sehenswerte Kunstinstallation im neuen MED Campus - Shelter (high touch) * Akademisches Gymnasium, Tummelplatz, auf Wikipedia * Schöne alte Straßenleuchten gibt es am und rund um den Franziskanerplatz