Olympia-Gold wirft seinen Glanz auch auf Graz

Die Sensationssiegerin von Tokyo im Rad-Straßenrennen ist Mitglied des Teams Cookina Graz. Da darf sich die Stadt schon ein bisschen (mit)sonnen, zumal hier 1893 der erste Damen Bicycle-Club der Monarchie gegründet wurde.

 

Anna Kiesenhofer hat nach 125 Jahren wieder eine Goldmedaille im Radsport nach Österreich geholt. Ein bisschen rechnen und ja, es war 1896, also 3 Jahre nach der Gründung des legendären Grazer Damenclubs. Adolf Schmal gewann in Athen Gold im 12-Stundenrennen auf der Bahn. Es waren die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit. Anna Kiesenhofer ist zwar aus Niederösterreich und forscht an der Universität in Lausanne zum Thema Differenzialgleichungen, sie ist aber ebenso Mitglied des Damenradsportteams Cookina Graz. Was wie Küche klingt, ist auch Küche. Der Sponsor ist ein Grazer Kücheneinrichter, der sich diesen Erfolg wohl nicht hätte träumen lassen. Und dann ist da auch noch Nationaltrainer Klaus Kabasser, ein gebürtiger Steirer und in Graz als Richter tätig. Der Rennstall von Cookina Graz ist unumstrittene Nummer 1 in Österreich, auf sein Konto gehen unzählige Staatsmeistertitel.

 

Nur 7 Jahre vor dem ersten Olympiagold für Österreich im Radfahren 1896 wurde das erste Puch-Rad in Graz ausgeliefert. Johann Puch war selbst als Radsportler aktiv, die Geschichte der von ihm begründeten Fahrradproduktion währte 100 Jahre.  

  

Aber zurück zum Jahr 1893. Die Clubs und Vereine waren von Männern dominiert. Dann trat Elise Steininger auf den Plan. Sie war 1890 mit ihrem Mann nach Graz gezogen. Mit 37 lernte sie Radfahren und brachte es zu sehr guten Leistungen im Tourenfahren und auf dem Kunstrad. Sie war wie ihr Mann Mitglied beim Verein Grazer Tourenfahrer. Irgendwann kam es zum Bruch und die mutigen Radlerinnen rund um Elise Steininger gründeten im Feber 1893 den Damen Bicycle-Club, den ersten in Graz und auch den ersten in der k. u. k. Monarchie. Es ist kaum zu glauben, aber das Rad-Dress bestand aus einem bodenlangen (!) dunkelblauen Rock, einer hellen Bluse, einer dunkelblauen Jacke und weißen Schirmkappen. Es gibt Fotos davon, ganz links im Bild ist Elise Steininger. Sie gründete auch eine eigene Radfahrschule und unterrichtete selbst, denn bis 1897 war für das Befahren öffentlicher Verkehrswege eine Prüfung erforderlich. Der Verein löste sich nach 6 Jahren auf, die meisten Radvereine ließen da bereits weibliche Mitglieder zu.

 

Elise Steininger ist seit 2006 ein Steig gewidmet. Es ist die Unterführung des Murrad- und Fußweges unter der Keplerbrücke am linken Ufer ganz in meiner Nähe.

 

Das Fahrrad erfunden hat Karl von Drais bereits 1817 zu einer Zeit großer Hungersnot. Weil auch Pferde starben, war es schwierig sich fortzubewegen. Das Fahrrad sollte als Ersatz dienen. Drais radelte oder besser lief mit seinem Holzrad ohne Pedale 14 Kilometer durch Mannheim. Das Gefährt wurde Draisine genannt. In Graz gibt es im Museum für Geschichte ein Fahrrad dieser ersten Generation, das sich Erzherzog Johann eigens bauen ließ. Die Entwicklung ging weiter, es kamen Pedale dazu, zunächst nur am Vorderrad. Dann wurden die Vorderräder größer und es war sehr schwierig mit diesen Hochrädern zu fahren. Erst mit zwei in etwa gleich großen Rädern, dem Kettenantrieb und der Luftbereifung gelang der Durchbruch. Das haben wir dem Engländer John Kemp Starley und dem Schotten John Boyd Dunlop zu verdanken. Die Massenproduktion konnte starten. Das alles geschah nur ein paar Jahre vor der ersten olympischen Goldmedaille im Radfahren.  

 

In der Zwischenzeit hat sich Graz zu einer radfreundlichen Stadt entwickelt: jeder 2. fährt Rad, es gibt mehr als 130 km Radwege und 6.000 Radabstellplätze. Anna Kiesenhofer hätte also alle ausgewiesenen Grazer Radwege in der Olympiadistanz von 137 Kilometern abfahren können. Fast 20 Prozent der Wegstrecken werden in Graz mit dem Fahrrad zurückgelegt, hauptsächlich jene zwischen einem und fünf Kilometern. Ich habe einen Arbeitskollegen und lieben Freund in Feldkirch, der am Tag seiner Pensionierung mit dem Rad losgefahren und einige Monate später nach 11.000 Kilometern, 18 Ländern und 13 Patschen wieder zurückgekehrt ist. Das ist 80-mal die Olympia-Strecke.

 

Ich selbst bin nach einem traumatischen Sturz vor ein paar Jahren nicht mehr aufs Rad gestiegen. Dabei hätte ich ein tolles Serviceangebot gleich um die Ecke: Das Heels on Wheels mit seinen bunten Rädern und Accessoires, den sozialökonomischen Verein Bicycle mit allem zum Thema Rad bis hin zum Verleih und das kleine Maghanoy für Bags und Bikes. Am coolsten finde ich aber den jungen Freerider in meiner Kärntner Freundesfamilie. Nicht nur, weil er so geschickt auf dem Mountainbike ist, sondern auch, weil er jetzt in den Schulferien beim technischen Dienst einer Seilbahn arbeitet und die Trail-Strecken täglich mit dem Rad kontrolliert. Bei Unfällen ist er an Ort und Stelle als Ersthelfer im Einsatz. So viel zur heutigen Jugend …

 



Weltfahrradtag am 3. Juni * Erzherzog Johann Draisine im Museum für Geschichte, 2. Stock, Sackstraße 16 * Heels on Wheels, Wickenburggasse 7 * Bicycle, Körösistraße 5 * Maghanoy, Körösistraße 1 * Olympische Sommerspiele 2024 in Paris