Fußball war einmal eine äußerst elitäre Angelegenheit. Dass in Graz das erste offizielle Fußballspiel auf österreichischem Boden stattfand, steht auf einer Erinnerungstafel an der Landes-Turnanstalt.
Es soll 1894 gewesen sein, als zwei Mannschaften des Akademisch-Technischen Radfahrvereins dieses Spiel am Platz des heutigen Landessportzentrums in der Jahngasse ausgetragen haben. Das ist kein Tippfehler, Fußball war einige Zeit nur ein Anhängsel anderer Sportarten und es hat sich alles im akademischen Umfeld abgespielt. Ein gewisser August Wagner kam im Jahr davor aus Prag zum Studium nach Graz und hat das Fußballspiel quasi mitgebracht. Es gibt gewisse Zweifel am Datum des ersten Spiels, aber diesmal wollen wir das gar nicht so genau wissen. Denn sonst haben die Wiener die Nase bzw. den Ball vorne.
Dass der spätere Nobelpreisträger Fritz Pregl damals mitgespielt hat, ist jedenfalls gesichert. Pregl? Nobelpreis? Wofür? Für Chemie im Jahr 1923 und zwar für die Mikroanalyse organischer Substanzen. Pregl ist in Laibach geboren und studierte in Graz Medizin – mit dem schon genannten August Wagner. Er hat genau einen Tag vor dem berühmten Match, dessen Datum angezweifelt wird, sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Als er ab 1913 Leiter des Instituts für medizinische Biochemie wird, wohnt er im Haus Geidorfgürtel 40, wo eine Tafel daran erinnert. Sein Schreibtisch und seine Mikrowaage konnten im alten Institut noch besichtigt werden, seit die Med-Uni in die Neue Stiftingtalstraße übersiedelt ist, verliert sich die Spur.
Natürlich kam der Fußballsport nicht aus Prag, sondern aus England. Wobei: England wird deshalb als Mutterland bezeichnet, weil 1863 in London die Football Association (FA) gegründet wurde, die ein entsprechendes Regelwerk erstellte. Damit begann auch der Siegeszug um die Welt. 1870 wurde die Zahl der Spieler mit elf festgelegt und 1890 das Tornetz eingeführt. Trotzdem spielten unsere Ur-Fußballer in Graz noch 1894 mit einem Tor aus zwei Stangen und einer Schnur. Die Grazer Bevölkerung nannte sie die „Narrischen mit ihren Bohnenstecken“. Rote und gelbe Karten gibt es seit 1970. Eine der aktuellsten Regelungen besagt, dass die Schulter nicht zum Arm gehört. Abseits-Insider werden wissen, was das heißt.
In Graz prägen zwei Clubs die Geschichte des Fußballs. Der GAK ist mit dem Gründungsjahr 1902 älter, Sturm besteht seit 1910. Wobei die Gründungsgeschichte von Sturm im Augarten begann. Da Vereine damals nur elitären Kreisen zugänglich waren, errichtete die Stadt in den öffentlichen Parks Fußballplätze. Bälle waren aber teuer und selten. Nur einer der Jungkicker vom Augarten besaß damals einen Ball und wenn er nach Hause ging, nahm er das wertvolle Stück mit. Schließlich taten sich die anderen zusammen und beschlossen nicht nur einen Ball anzuschaffen, sondern als "Sturm" aufzutreten und schließlich einen Verein zu gründen. Die sportlichen Leistungen der beiden Clubs sind ein ziemliches Auf und Ab, die finanziellen Probleme haben bei beiden große Wellen geschlagen.
Die archaische Begeisterung für Fußball ist mir nicht wirklich zugänglich und es gäbe keine Blog-Geschichte, wenn mir nicht ein treuer Leser – so man das nach 21 Geschichten schon sagen darf – aus Anlass der EM den Hinweis zum ersten Match in Graz gegeben hätte. Jetzt erkenne ich erst, dass ich dem Fußball oder besser dem Fußballplatz viel näher bin als gedacht. Und das gleich dreifach. Ich habe mit einem früheren Freund Ende der 1970er Jahre in der Klosterwiesgasse gewohnt, ganz nahe beim Sturm-Platz. Da er kein Fußballfan war und ich schon gar nicht, gab es weiter keine Berührungspunkte. Die berühmte Gruabn ist seit einem Monat sogar denkmalgeschützt.
In Kärnten hatte ich meine Wohnung ganz in der Nähe des Wörtherseestadions. Trotz aller Diskussionen wurde es ge- und nie rückgebaut. Da ich mir kein Fußballmatch ansehen wollte, das Stadion aber sehr interessant fand, habe ich beim ersten Popkonzert nach der Euro 2008 zugeschlagen. Herbert Grönemeyer füllte das Stadion mit 25.000 Fans. Ich will mir das heute gar nicht mehr vorstellen, wahrscheinlich bin ich schon coronalangzeitgeschädigt. Doch das Unglaublichste kommt noch: Ich wohne in der Körösistraße exakt auf dem historischen GAK-Platz über dem traditionsreichen grünen Rasen. Die Ära dieses Platzes ging nach etwas mehr als 100 Jahren Geschichte 2005 zu Ende. Gleich ums Eck gibt es eine Gedenktafel für Rudi Hiden. Er bestritt von 1931-1933 als einer der besten Torhüter seiner Zeit 20 Spiele im legendären österreichischen Wunderteam. Der Fußballtraum einer Nation ging damals in Erfüllung. Ich habe einen Kollegen aus meinem Vorpensionsumfeld, der jedes Spiel seit damals kennt, jeden Spieler und jedes Tor. Das Einzige wofür ich mich begeistern könnte, wären Fußballstadien. Peking ist ein bisschen weit weg, aber die Allianz Arena in München habe ich mir vorgemerkt. Die Architekten Herzog & de Meuron haben übrigens auch das Headquarter von AstraZeneca in Cambridge gebaut ...
Landessportzentrum Steiermark, Jahngasse 3 (am Fuße des Schlossbergs zu Beginn des Stadtparks) * Geschichte des GAK 1902 unter grazerak.at * Club/Geschichte/Chronik von Sturm Graz unter sksturm.at * theifab.com, eine App mit allen Spielregeln * Wörtherseestadion in Klagenfurt auf Wikipedia