Nahversorgung im Café

Bäckerei, Konditorei, Snackbar und natürlich Café – all das sind die Standorte von Martin Auer in Graz. Einer davon ist in der Körösistraße. Die Bezeichnung Kaffeehaus passt dafür nicht mehr so ganz.

 

Die Nahversorgung definiert sich über die Verfügbarkeit von Gütern des täglichen Bedarfs. Der Kaffee zählt in Österreich eindeutig dazu. Immerhin trinken 88 Prozent der Bevölkerung durchschnittlich fast einen halben Liter pro Tag. 3,7 Milliarden Euro geben wir pro Jahr dafür aus, das sind rund 414 Euro pro Kopf. Das sagt zumindest der De'Longhi Kaffeereport 2021. Der Österreicherinnen und Österreicher liebstes Getränk ist der Verlängerte, danach folgen Cappuccino und Espresso. Gezuckert wird der Kaffee nur mehr von 36 Prozent, mit Milch trinken ihn noch 72 Prozent, 25 Prozent davon mit Pflanzenmilch. 

 

Mein Haushalt gehört zu jenen lediglich 0,4 Prozent, wo es keine Möglichkeit gibt, Kaffee zuzubereiten. Außer ich würde auf Instant-Produkte zurückgreifen, aber so weit bin ich noch nicht. Ich habe früher Kaffee fast nur im Büro getrunken, seit Home-Office und Pensionierung hat sich das ins Café verlagert mit Präferenz zum Auer gegenüber. Er ist weniger als 100 Meter entfernt. Als ich das einmal als Altersnahversorgung in eine Diskussion eingebracht habe, meinte ein lieber Freund, dass 100 Meter mit dem Rollator auch recht viel sind. Obwohl noch gut zu Fuß, leistet der Auer gegenüber schon jetzt einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zu meiner Lebensqualität.

 

Ich trinke ausschließlich Kaffee mit Milchschaum. Mit schwarzem Kaffee könnte man mich foltern. Beim Auer gegenüber ist mein Lieblingsgetränk die kleine Melange, die so groß ist wie anderswo eine normale. Einmal im Jahr findet sich eine Newcomerin, die die Melange nur mit Milchschaumhaube serviert. Fast immer gibt es hartnäckigen Widerstand gegen meinen Einwand. Auch wenn ich erkläre, dass es bisher immer eine Mischung aus Kaffee und geschäumter Milch plus Milchschaumhaube gewesen ist, bekomme ich noch ein vorwurfsvolles „Aber ich hab das so gelernt“ hinterher gemurmelt. 

  

Martin Auer ist in Graz hinlänglich bekannt, er leitet das Unternehmen seit 2011 in 3. Generation. Jetzt hat er in St. Peter ein Atelier eröffnet mit Backstube, Café, Getreidemühle, Kaffeerösterei, Büros und einer Mitarbeiterakademie. Photovoltaik und Abwärmenutzung inklusive. Mehr als 30 Filialen gibt es, 400 Mitarbeitende und cool designte Autos. Die Familie Auer engagiert sich auch sozial. In der Mariahilferstraße verkaufen Ehrenamtliche Brot vom Vortag zum halben Preis. Der Erlös, immerhin so um die 60.000 Euro jährlich, kommt hilfsbedürftigen Grazer Familien zugute.

 

Im früheren Stammhaus am Dietrichsteinplatz wurde schon seit 1688 Brot gebacken. Es gibt sogar Hinweise, dass es seit 1347 so gewesen sein soll. Die Familie Auer hat die Bäckerei am Dietrichsteinplatz aber erst 1944 gekauft. Nun ist alles ins neue Atelier übersiedelt.

 

Das erste Kaffeehaus überhaupt soll es 1554 in Istanbul gegeben haben, der Hauptstadt des Osmanischen Reiches. 100 Jahre später waren Kaffeehäuser schon in verschiedenen europäischen Städten zu finden. 

 

Im 19. Jahrhundert galt dann Wien als Kaffeehauptstadt. Man traf sich nicht nur zum Kaffee trinken, sondern um Zeitung zu lesen, Billard oder Schach zu spielen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Stammgäste ließen sich die Post hinschicken, empfingen Besuche und arbeiteten vor Ort. Berühmte Kaffeehausliteraten wie Peter Altenberg, Karl Kraus oder Friedrich Torberg, aber ebenso Maler und andere Künstler ließen sich von der einzigartigen Atmosphäre inspirieren. Auch beim Auer gegenüber arbeiten Besucherinnen und Besucher, sie machen Bewerbungsgespräche, schreiben auf ihren Laptops, unterrichten Englisch. Einmal hat jemand am Nebentisch gemalt und mir dann eine kleine Karte gebracht mit einem Teddy drauf und dem Titel Kindheitsgeschichten. Einen ähnlichen haben meine Eltern heimlich entsorgt, nachdem er schon sehr, wirklich sehr mitgenommen ausgesehen hatte. Ich hab es ihnen nie verziehen, bis zu diesem Moment.

 

Beim Auer ist das Angebot an Zeitschriften für ein Kaffeehaus, das es ja nicht mehr so ganz ist, etwas reduziert. Das GEO ist aber neu und enthält einen interessanten Beitrag über die Wiener Kaffeehauskultur. Das hat mich zu dieser Geschichte angeregt. Ein Cappuccino kostet in Kopenhagen 5,40 Euro, in Mailand 1,50 Euro. In Wien sind es 3,50, beim Auer 3 Euro. Mit den durchschnittlich 414 Euro pro Jahr ginge sich 142-mal eine Melange aus, sie kostet eine Spur weniger als der Cappuccino. Da ich manchmal auch etwas Süßes dazu nehme und ab und zu frühstücke, trage ich einiges zum Umsatz bei. Apropos Süßes: ich bin da ganz saisonal unterwegs. Derzeit muss es ein Zwetschkenfleck sein, Krapfen esse ich niemals vor Martini und nicht mehr nach dem Faschingsdienstag, zu Ostern freue ich mich auf eine Pinze zum Kaffee. Eigentlich sollte es jetzt bald etwas mit Maroni geben …

 



Rezepte und Tipps unter www.martinauer.at/tipps * Informationen aus dem De’Longhi Kaffeereport: www.retailreport.at/delonghi-kaffee-ist-krisenresistent * Kaffeevarianten und ihre Zubereitung: www.kaffee.org/wiener-kaffee-die-kaffeehauskultur-oesterreichs