Täglich um 11.00, 15.00 und 18.00 Uhr dreht sich das Pärchen in Dirndl und Lederhose im Giebel des Glockenspielhauses zu jeweils 3 von immerhin 70 möglichen Melodien. Ungefähr 8 Minuten dauert das romantische Schau- und Hörspiel. Genug für eine kleine Verschnaufpause im trubeligen Advent. Man muss sie allerdings gerade in dieser Zeit mit vielen anderen teilen. Unser Glockenspiel verstummte außer heuer im Sommer nur im zweiten Weltkrieg, die Glocken flossen im wahrsten Sinne des Wortes in die Rüstungsindustrie. 13 Jahre später ist das hübsche Schauspiel mit neu gegossenen Glocken wieder erklungen.

Auf dem Gebäude steht groß Gottfried Maurer. Er war Eigentümer einer Spirituosenerzeugung und hat ein altes Haus am damaligen Fliegenplatz im historistisch-sezessionistischen Stil umbauen lassen inklusive Giebel und Dachreiter für sein Glockenspiel. Kennengelernt hat Maurer diese Art von Musik auf seinen Reisen nach Norddeutschland und Belgien. Geschäftstüchtig wie er war, wollte er damit Aufmerksamkeit auf sein Geschäft lenken und er tat es durchaus kunstsinnig und geschmackvoll. Dass es um die Animation zum Trinken geht, merkt man allerdings nicht nur am Glas in der Hand des männlichen Pärchen-Teils, sondern auch an den Motiven auf der Jugendstilfassade und auf den Mosaiken des Hauses nebenan. 

Die 24 Glocken hängen im eisernen Dachreiter. Auch die dazugehörige Technik findet dort Platz: ein Uhrwerk zur Steuerung der Figuren und Glocken und eine mechanische Spielwalze mit 22.500 Bohrungen. 800 Stahlstifte können eingesetzt werden, sie bestimmen die jeweiligen Melodien. Fünfmal im Jahr wird umgesteckt, um jeweils 3 neue Lieder erklingen zu lassen. Wenn es so weit ist, öffnen sich die Butzenglasfenster im Giebel und die sich drehenden Holzfiguren erscheinen zum Klang der Glocken. Oben über der Uhr ist ein Hahn, der am Ende der Vorstellung seine Flügel ausbreitet und so etwas wie ein Krächzen hören lässt. Traditionelle Volkslieder, Klassik, aber auch moderne Kompositionen stehen auf dem Programm. Als das Glockenspiel zu Weihnachten 1905 erstmals erklang, spielte man keine Weihnachtslieder. Ganz patriotisch gab es die Österreichische Kaiserhymne, die Steirische Landeshymne und das Glockenspiel aus Mozarts Zauberflöte. Der Erfolg war so groß, dass der Fliegenplatz 1908 offiziell in Glockenspielplatz umbenannt wurde. 1929 hat Maurer das Glockenspiel der Stadt Graz übergeben mit der Auflage, es instand zu halten und weiter zu betreiben. 

Als ich meine Vintage Spieluhr-Glocke gekauft habe, wusste ich noch nicht, dass sie so gut in diese Blog-Geschichte passt und auch nichts vom Hersteller. Es ist die Schweizer Manufaktur Reuge. Sie besteht seit 1865 und stellt heute noch Spieluhren her. Reuge war einer der Uhrmacher, die Sainte-Croix zu einem Zentrum für dieses Produkt machten. Wie das Glockenspiel wird auch meine Glocke von einem Uhrwerk gesteuert und enthält eine Spielwalze. Allerdings sind in dem kleinen Gehäuse die Stifte fix montiert und statt der Hämmer für die Glocken sind es Metallzungen, die die Melodie erzeugen. Ein Produkt nach dem gleichen Prinzip beruhigt massenweise Babys – Plüschtiere mit einer Schnur zum Aufziehen. Aber diese Zeiten sind nun wohl vorbei, bei den neuesten Versionen drückt man auf einen button und hat eine personalisierte Baby-Playlist zur Verfügung.

Meine Spieluhr-Glocke spielt ein Menuett, das die meisten kennen, aber möglicherweise nicht richtig zuordnen. Das soll sich jetzt ändern, es ist von Boccherini. Ich habe noch eine schöne Glocke entdeckt, sie spielt Süßer die Glocken nie klingen. Vielleicht wünsche ich sie mir nächstes Jahr zu Weihnachten. In diesem Jahr wünsche ich allen meinen Leserinnen und Lesern ein wohlklingendes harmonisches Weihnachtsfest.

Fotos: Giebel und Dachreiter im Glockenspielhaus am Glockenspielplatz 4, Firmenschriftzug auf der Jugendstilfassade des Glockenspielhauses, Vintage Spieluhr-Glocke zu Hause