Der Sage nach verdanken wir unseren Kalvarienberg einem teuflischen Wutanfall. Dasselbe gilt für den Schloßberg. Dafür ist der Hausberg der Grazer nur 1445 Meter hoch oder vielleicht besser gesagt niedrig geblieben.
Der Schöckl sei nur ein Zwerg gegen den großen Rigi in der Schweiz, lästert der Höllenfürst in der Sage. Und verspricht ihn zum Preis einiger Seelen gewaltig aufzustocken. Kaum ist der Handel beschlossen, saust der Teufel los und kommt mit einem riesigen Felsbrocken zurück. Über Wildon sieht er eine Prozession und erkennt, dass sein Plan nicht gelingen kann. Denn in der Osterzeit besitzt er keine Kraft über die menschlichen Seelen. Wutentbrannt schleudert er den Felsen Richtung Mur. Der zerbricht in zwei Teile und hinterlässt uns den Schloßberg und den Kalvarienberg. So oder so ähnlich erzählt es die Sage.
Die Geologie macht dem Volksglauben allerdings gleich einen dicken Strich durch die Rechnung. Der Schloßberg ist nämlich aus Dolomit, der Kalvarienberg aus Schiefer. Zudem scheinen die Geographiekenntnisse des Oberdämonen etwas lückenhaft. Zum einen heißt es die und nicht der Rigi und der Schweizer Berg ist gerade einmal 350 m höher als der Schöckl, zugegeben aber wesentlich spektakulärer. Wohl auch deshalb führte die erste Bergbahn Europas 1871 auf die Rigi inklusive Blick auf 13 Seen und unzählige Berggipfel. 80 Jahre später zog der Schöckl mit einer Seilbahn nach.
Eine Seilbahn braucht es für den knapp 30 Meter hohen Austein wie der Kalvarienberg früher hieß nicht. Anfang des 17. Jahrhunderts entstand hier die erste Nachbildung des Kreuzigungshügels in Jerusalem innerhalb des heutigen Österreich. Es war die Zeit der Gegenreformation, man versuchte die Menschen mit theatralischen Inszenierungen zum katholischen Glauben zurückzuführen. Dieser Marketingidee verdanken wir viele wunderschöne Anlagen, jene in Graz zählt sicher zu den schönsten. Auch die etwas später errichtete Kirche mit der Fassadenbühne, der Heiligen Treppe und dem sichtbaren Felsen im Inneren ist großes Barocktheater. Auf dem Hügel thront eine Kreuzigungsgruppe mit einem vergoldeten Jesus. Der Ausblick von dort oben ist wunderbar und die beschauliche Ruhe etwas ganz Besonderes. Und wer immer schon wissen wollte, wie man die beiden Schächer auseinanderhält: der bekehrte schaut zu Jesus hin, der unbelehrbare von ihm weg.
Auf dem Höhepunkt der Volksfrömmigkeit wurde der Kalvarienberg von Pilgerinnen und Pilgern regelrecht gestürmt, es gab bis zu 900 Messen pro Jahr. Das war auch eine Folge des Besuchs des damaligen Kaisers Leopold. Mit Spenden wurde der Berg zudem immer kunstvoller gestaltet. Nach dem Ende des barocken Passionskults begann die Anlage langsam zu verfallen. Seit der Generalsanierung vor 20 Jahren erstrahlt sie in altem Glanz – eine echte Kostbarkeit unter den Grazer Sehenswürdigkeiten. Und ein perfekter Ausflugsort für Ostern.
Dass wir gerade eine so fromme Gedenkstätte wie den Kalvarienberg dem Teufel verdanken, wurmt ihn sicher in alle Ewigkeit. Dass der Schöckl um 350 Meter niedriger ist als die Rigi lässt sich verkraften. Ich wollte den Schweizer Traditionsberg vor einiger Zeit besuchen. Das Navi hat mich am Vierwaldstättersee zur Anlegestelle einer Fähre gelotst, die saisonbedingt nicht mehr in Betrieb war. Der Umweg hat dann so lange gedauert, dass nur mehr eine Berg- und sofortige Talfahrt möglich gewesen wäre. Ein Jahr später gelang der Besuch dann doch, die Anreise mit der Bahn funktionierte perfekt. Der Ausblick ist wirklich grandios, nur die Alpakas zwischen den Kühen irritieren etwas.
Haben die Weltkriege auf der Rigi nur die Zeit des Luxustourismus beendet, so gab es in Graz ganz andere Sorgen. Mehr als 50 Luftangriffe und 29.000 Bomben wurden Ende des 2. Weltkriegs gezählt. Im Kalvarienberg hat ein über 300 m langer Stollen 3000 Menschen Schutz geboten. Der Stollen wurde saniert, der Eingang wieder geöffnet und eine Lüftungsanlage eingebaut. Friedrich Hager vom Pfarramt erinnert in einem Video an die dramatische Zeit. Eine Kerze für den Frieden beim Besuch des Kalvarienbergs kann gerade in der heutigen Zeit nicht schaden.
Adresse: Kalvarienbergstraße 155 * Der steirische Sagenschatz, Johann Schleich (Hrsg.), Styria 1999 *Schloßberg gilt als Eigenname und wird mit scharfem ß geschrieben