Die Pflanzenwelt der Leechkirche

Sie sind eine echte Rarität, die Blätter auf den Kapitellen in der ältesten gotischen Kirche in Graz. Rundherum sollten eigentlich auch die zugehörigen Pflanzen wachsen. Aber auffällig ist nur der Feigenbaum, der gerade Früchte trägt.

 

Florale Verzierungen als Abschluss von Säulen kommen häufig vor, aber eine ganze Pflanzensammlung wie in der Leechkirche ist einzigartig. Dabei ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Wissen um die heilende Kraft dieser Pflanzen eingeflossen. Denn die Kirche wurde im 13. Jahrhundert vom Deutschen Ritterorden erbaut, der in der Zeit der Kreuzzüge als Spitalsgemeinschaft gegründet wurde. Den Orden gibt es heute noch. Die Kirche gehört aber seit 1979 der Diözese Graz-Seckau und wurde 1985 zur Universitätskirche ernannt. 

 

Es gibt 12 Blätterkapitelle, zwei davon sind uns verborgen, weil der Altar davorsteht. Die anderen 10 sind gut sichtbar. Außer der Feige, sind das noch Bilsenkraut, nicht ganz eindeutig Wilde Erdbeere oder Wilder Hopfen, Malve, Eiche, Weißdorn, Lilie oder Narzisse, Efeu, Klee oder Leberblümchen und Distel. Es gibt sogar ein Buch darüber. Elisabeth Brenner hat sich auf die Suche nach den botanischen Vorbildern der Kapitelle und ihrer Wirkung in der mittelalterlichen Heilkunde begeben. 

 

Die kleine Kirche Maria am Leech ist eine der bedeutendsten frühgotischen Bauten in Österreich und noch aus einigen anderen Gründen eine Sensation. Sie steht auf einem Grabhügel aus der Hallstattzeit des 7. vorchristlichen Jahrhunderts, unter ihr wurden Fundamente eines vorromanischen Baus und einer spätromanische Rundkirche freigelegt. Von den Glasfenstern sind noch 105 bemalte Glasscheiben aus dem 14. Jahrhundert erhalten mit der frühesten Darstellung der Dreifaltigkeit in unserem Kulturraum. Und ober dem Eingang ist eine wertvolle Mariendarstellung aus der Bauzeit von 1275 bis 1293 zu bewundern, bei der Jesus seine Mutter liebevoll am Kinn krault. Wer sich nicht selbst von diesen und noch weiteren Besonderheiten überraschen lassen möchte, schaut das Video an, das auch einen Blick unter die Kirche möglich macht.

 

Die Leechkirche ist sowohl von der Zinzendorfgasse als auch über die Rittergasse von der Glacisstraße aus zugänglich und steht heute in dicht verbautem Gebiet. Ursprünglich war sie auf dem Hügel vor den Toren des ummauerten mittelalterlichen Graz weithin sichtbar.

 

Outdoor hat man die den Kapitellen entsprechenden Pflanzen in Töpfen angesetzt. Mit mäßigem Erfolg. Aber der Feigenbaum lebt und trägt sogar Früchte. Der Vorteil der anderen Töpfe sind die kleinen Beschreibungstafeln mit den Fotos der Kapitelle. Man kann sie darauf besser erkennen als in der Kirche. Dass die Feige trotz einiger zerfressener Blätter noch guten Mutes ist, freut mich. Sie ist mein keltischer Horoskop-Baum und steht für eine starke, aber eigenwillige Persönlichkeit. Die nicht gerade schmeichelhaften weiteren Eigenschaften verschweige ich schamhaft. Vor allem damit auch gleich das Feigenblatt dazu passt, das es aus biblischen Erkenntnisgründen zu unerreichbarer Berühmtheit geschafft hat. Buddha kam jedenfalls zu ganz anderen Erkenntnissen, als er unter einer Feige erleuchtet wurde. Es war eine Pappelfeige, was möglicherweise den entscheidenden Unterschied ausmacht. Die Griechen und Römer verbanden die Feige mit Dionysos bzw. Bacchus, dem jeweiligen Gott des Weines.

 

Die Feige zählt zu den ältesten Kulturpflanzen überhaupt. Ihre frischen Früchte sind unglaublich gesund und stärken den gesamten Organismus. Von Juli bis November kommen Feigen aus der Mittelmeerregion, hauptsächlich aus der Türkei und Griechenland, aber auch aus Italien und Spanien. In der übrigen Zeit von (zu) weit her.

 

Wir kennen den Ficus oder die Feige auch als Zimmerpflanze. Ich hatte einmal eine Geigenfeige, die sich aber aufgrund ihrer Größe dem Umzug nach Graz entzog. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ihre Attraktivität auch davor schon etwas gelitten hatte. Sie gehört 2022 wieder zu den Trendpflanzen. Vielleicht greife ich aber lieber zu einem Feigenbaum für den Balkon und kann dann auch ernten …

 

 

Leechkirche, Zinzendorfgasse 3, geöffnet Mo-Do 8-16, Fr 8-12 * Das Kapitell mit den Feigenblättern ist auf der linken Seite das zweite, aber das erste, das man vom Eingang aus sieht * Herbarium in Stein, Die Pflanzenwelt der Grazer Leechkirche, Elisabeth Brenner, 2016, Verlag Sublilium Schaffer e.U