Um die Mitte zu suchen gibt es viele Wege. Das ist bei Menschen genauso wie in der Geografie. Vom geometrischen Schwerpunkt bis zum arithmetischen Mittelwert kommt man irgendwie zum Grazer Stadtkern.
Das Stadtgebiet von Graz passt in ein Quadrat. Verbindet man die Eckpunkte mit Diagonalen, dann ist der Mittelpunkt dort, wo sie sich schneiden. Wenn dann noch Künstler auf die Idee kommen, einen Kern aus Bronze zu gestalten, bekommt die Stadtmitte ein sichtbares Symbol. In der frischen und saftigen Steiermark hätte es wohl ein Apfelkern sein müssen, in Graz ist es eindeutig der eines Pfirsichs. Wobei: Pfirsiche kamen in der Römerzeit aus China über Persien nach Europa, der Name stammt aus dem Lateinischen und Persica hieß persischer Apfel.
Die Bronzeskulptur steht im 2. Burghof, zu dem viele gar nicht vordringen, weil sie den ersten Hof und die Doppelwendeltreppe für die einzige Sehenswürdigkeit halten. Aber gleich dahinter im nächsten Hof steht der Obstkern des steirischen Künstlerehepaars Knoll. Und nicht nur das, es gibt dort auch eine steirische Ehrengalerie mit Porträtbüsten. Der Stadtkern ist übrigens schon einmal gewandert. Er stand in einer Bankfiliale in der Paulustorgasse, die irgendwann nicht mehr öffentlich zugänglich war. Im Gemeinderat wurde am 22. September 2011 beschlossen, die Schenkung der Künstler anzunehmen und die Aufstellung in der Burg zu veranlassen.
Die errechnete Position ist eigentlich im 3. Burghof und sollte durch ein Aluminiumplättchen im Boden gekennzeichnet sein. Dieser Hof ist meist voll geparkt und so habe ich erst beim ungefähr 5. Besuch einen kleinen kreisrunden Fleck neben einem Autoreifen entdeckt. Von einem Aluminiumplättchen ist aber weit und breit keine Spur.
Die Sache mit den Mittelpunkten ist offenbar außerhalb von Graz ziemlich komplex. Es gibt einige Rechenmethoden, deren einfache Wiedergabe nicht einmal mir gelingt. Und das obwohl ich in meinem gerade beendeten Berufsleben ein Projekt zur verständlichen Sprache geleitet habe. Was dabei herauskommen kann, hat Bad Aussee zu spüren bekommen. War es seit 1949 der Mittelpunkt Österreichs, ist er 2019 Richtung Stainach-Pürgg, 25 km östlich und auf eine Seehöhe von 1.380 Metern gewandert. Immerhin ist er noch in der Steiermark. Die Mitte der Steiermark ist übrigens in St. Stefan ob Leoben.
Wie Länder oder Städte haben natürlich auch Wohnungen einen Mittelpunkt. Normalerweise kümmert man sich nicht darum, außer man kommt irgendwann einmal mit Feng Shui in Berührung. Und dass das bei mir der Fall war, wissen aufmerksame Leserinnen und Leser schon aus den Geschichten mit den Bäumen und dem Elefanten. In der Reichtumsecke steht ein Geldbaum und tummeln sich ein paar Rüsseltierchen. Die Betonung des Zentrums lässt die Lebensenergien fließen und steht für Gesundheit und das innere Gleichgewicht. Leider ist das Zentrum in meiner 75 m² Wohnung gleich nach dem Eingang ins Arbeits- und Garderobenzimmer. Eine freie Umgebung und ein runder Teppich? Fehlanzeige. Stattdessen hängt dort eine kleine Spirale aus Messing und harmonisiert hoffentlich mein Innen und Außen. Es ist eine Doppelhelix wie unsere DNA, die auch in der Architektur Anwendung findet. So zum Beispiel bei der Doppelwendeltreppe, bei der wir gerade vorbeigekommen sind auf dem Weg zum Grazer Stadtkern. Sollte also das mit dem Energiefluss in meiner Wohnung gerade einmal nicht funktionieren, bleibt der Weg in die Grazer Burg …
Graz misst 13,684 km Nordsüd und 13,998 km Südwest * Die Position des Mittelpunkts: 47°04‘22‘‘ N und 15°26‘33‘‘ E * Wikipedia: Liste geographischer Mittelpunkte und Mittelpunkt Österreichs