Kunst im öffentlichen Raum ist nicht immer einfach zu verstehen, vor allem wenn sie sich in Form von Projekten zeigt. Das ist auch beim unbekannten Ritter so, der sich auf dem Dach des Zeughauses ausruht.
Man sieht ihn von der Herrengasse aus, muss aber schon ganz genau hin(auf)schauen. Der deutsch-türkische Künstler Nasan Tur gewann 2011 einen Wettbewerb, dessen Ausgangspunkt das Zeughaus als „Bollwerk gegen den (Süd-)Osten“ war. Den Künstler beschäftigte die Idee, wie sich Mythen und Feindbilder im kollektiven Gedächtnis bilden und dort haften bleiben. Er setzte seinen geheimnisvollen Ritter dagegen, einmal schlafend und einmal stehend, der verletzlich, unzulänglich ausgerüstet und so gar nicht heroisch ist. Es sind übrigens Bronzeabgüsse des Künstlers. Eine dritte Figur besteht nur aus Helm, Panzer und Schild.
Gleichzeitig ließ der Künstler mit Grazer Volksschulkindern Geschichte(n) neu entstehen: Ein Ritter, fern der Heimat, will nicht mehr kämpfen und kommt nach Graz zurück. Doch hier wird er als Feigling gedemütigt. Enttäuscht klettert er auf das Dach des Zeughauses, schläft ein und träumt davon auf dem Mond zu schaukeln. Schließlich verschwindet er und nur die Rüstung bleibt auf einer Schloßbergwiese zurück. In einer anderen Legende kehrt ein Ritter zerlumpt und müde heim, um Graz vor einer Gefahr zu warnen. Auch er wird verhöhnt und klettert auf das Dach. Von dort sieht er ein Feuer ausbrechen. Doch die Bewohner glauben, er hätte es selbst gelegt. Er wird zum Tode verurteilt. Und dann ist da noch die Prinzessin, die als Ritter verkleidet, den Grazern Geschichten vom fernen Land erzählt. Auch sie klettert von einem Vogel gewarnt auf das Dach des Zeughauses und sieht die Armee ihres Vaters herannahen. Gerade noch rechtzeitig erreicht sie ihren Vater, der unbemerkt wieder abzieht.
Diese drei Legenden haben es in ein Kinderbuch geschafft, erhältlich im Foyer des Zeughauses in der Herrengassse. Dort haben auch die anderen Figuren von Nasan Tur, die früher auf dem Schloßberg und in der Griesgasse standen, eine neue Heimat gefunden. Nur der unbekannte Ritter auf dem Dach hält weiterhin die Stellung – als Mahnmal der Menschlichkeit.
Unser Zeughaus ist die größte noch originale Waffenkammer der Welt. Sie enthält Rüstungen und Waffen aus der Zeit des 15. bis 18. Jahrhunderts. 32.000 Teile lagern auf 5 Etagen. Das Zeughaus wurde so um 1640 erbaut, davor gab es verstreute Lagerorte. Nachdem keine Gefahr mehr aus dem Osten drohte, kam es bereits 1749 zur Schließung durch Maria Theresia. Die geschichtsbewussten Grazer Stände verhinderten den Verkauf und schufen so eine weltweit einzigartige Attraktion.
Der Blick auf das Dach des Zeughauses zum unbekannten Ritter, erinnert mich an meine Vergangenheit im Dachgeschoß des Landhauses. Wirklich. Fast so hoch oben, im Trakt Richtung Rathaus, war vor vielen Jahren mein Arbeitsplatz. Die Verbindung zum Ritter ist aber nicht nur eine zeitversetzt räumliche. Ich war damals für die Koordination der Landesausstellung in Herberstein zuständig. Es war die erste intensive Zusammenarbeit von Kultur und Tourismus. Die Ausstellung fand 1986 statt und trug den Titel „Brücke und Bollwerk“, das Kunstprojekt mit dem unbekannten Ritter basiert auf dem „Bollwerk gegen den (Süd-)Osten“. Die Landesausstellung war sehr erfolgreich und hält heute noch den 2. Platz auf der Besucherbestenliste. Der 1. Platz gehört den „Hexen und Zauberern“ auf der Riegersburg. Auch wenn ich ihn früher gar nicht bemerkt habe, jetzt ist eine ganz persönliche Beziehung zum unbekannten Ritter auf dem Dach entstanden. Und vielleicht fällt mir auch eine eigene Legende ein …
Mehr über das Projekt: www.museum-joanneum.at/blog/nasan-tur-der-unbekannte-ritter * Kinderbuch "Der Unbekannte Ritter", 12 Euro, erhältlich im Buchhandel oder den Grazer Museumsshops * Im Zeughaus gibt es täglich Führungen um 11.00 und 14.00 Uhr, Eintritt 10,50 Euro, Führung 2,50 Euro, www.museum-joanneum.at/landeszeughaus