Aufarbeiten, zerstören oder neu interpretieren

Denkmäler sind häufig Standbilder von Persönlichkeiten, die irgendwann Geschichte sind. Nicht so beim Denkmal für ein zerstörtes Denkmal. Es sind nur Stiefel.

 

Auf dem Gelände der Karl-Franzens-Universität steht seit 2016 ein Paar Stiefel auf einem Sockel. In den Stiefeln könnten viele Diktatoren vergangener Jahre gestanden haben. Das Monument stammt von der Russin Anna Jermolaewa. Ein künstlich hergestelltes ruiniertes Denkmal wird zu einem Mahnmal und regt zum Nachdenken an über die Vergänglichkeit des menschlichen Ruhms. Ohne Figur haben die Stiefel etwas Absurdes. Und das ist gewollt.

 

In Zeiten, in denen der Denkmalsturz wieder grassiert, ist das Monument von einiger Brisanz. Jermolaewa, derzeit Professorin an der Kunstuniversität in Linz, bezieht ihre Idee aus der Zerstörung von Tausenden Machtsymbolen des Kommunismus – den meist riesigen Statuen von Lenin und Stalin. In meinem Geschichtswissen gehören die Stiefel zu Stalin, zumal es von ihm tatsächlich ein 1956 bei einem Aufstand in Ungarn gestürztes Denkmal gab, bei dem die Stiefel zurückblieben. In Budapest entstand in den 1990-er Jahren der Memento-Statuenpark, für den ein Künstler eine nicht ganz originalgetreue Kopie dieser Stiefel angefertigt hat. Den Park bevölkern auch viele weitere Statuen aus der Zeit vor 1989. Eigentlich ein gelungener Umgang mit der Vergangenheit: die Dinge zu erhalten, sich gleichzeitig davon zu distanzieren und auch noch geschichtliches Wissen zu transportieren.

 

Anna Jermolaewa, die 1970 in Leningrad im heutigen St. Petersburg geboren ist, musste ihre Heimat als Mitbegründerin einer Zeitschrift der Opposition 1989 verlassen. Sie erhielt politisches Asyl in Österreich. Zu den Stiefeln auf dem Unigelände passen vielleicht auch noch die Riesenfüße vor dem Orpheum. Die Bezeichnung ist zwar anatomisch nicht ganz korrekt, aber in der Umgangssprache üblich. Sie stammen aus dem Bühnenbild eines Theaterstückes – The Fountainhead von Ayn Rand, die eigentlich Alissa Sinowjewna Rosenbaum hieß. Sie ist wie Jermolaewa in St. Petersburg geboren, allerdings 70 Jahre davor und hat Russland im gleichen Alter verlassen. In Amerika gehört sie zu den meistgelesenen politischen Autorinnen.  

 

Ich habe bei dieser Blog-Geschichte ein neues Wort gelernt: Ikonoklasmus. Darunter versteht man die Zerstörung von Denkmälern oder Bildern von religiöser, kultureller oder politischer Relevanz. Dort wo die Macht zum Kult wird, erfolgt deren kollektive Zerstörung, wenn sich die Verhältnisse ändern. Wer aber versucht, die Geschichte auszulöschen und ihre Symbole zu vernichten, beraubt sich der Chance einer lehrreichen Aufarbeitung. Auf historische Bedenken angemessen zu reagieren, ist aber nicht einfach. Das gilt für Straßennamen genauso wie für Denkmäler. Die Kultur der Erinnerung ist eine herausfordernde Aufgabe. 

 

Auch für mich haben Stiefel diese besondere Symbolik der Macht. Das rührt wohl daher, dass in den Medien Menschen mit Stiefeln und meist Uniform selbstbewusst und überlegen auftreten. So überträgt sich diese Symbolik auf das alltägliche Stiefeltragen. Man fühlt sich ein bisschen stärker. Außer in Gummistiefeln. Bei meinen ist das aber anders: sie schauen aus wie robuste Schnürstiefel und sind daher wieder ein Statement für ein bisschen Macht. In dem Fall über das Wetter. Ob dieser Kauf eine gute Entscheidung war, weiß ich noch nicht. Ich war seither noch nicht bei Regen draußen. Sie geben aber auf dem Sockel der Murradwegbegrenzung ein ergänzendes ironisches Bild ab ...

 

The monument to a destroyed monument: www.museum-joanneum.at/kioer/projekte/permanente-projekte/events/event//anna-jermolaewa * Mehr über den Memento-Statuenpark in Budapest: de.wikipedia.org/wiki/Szoborpark * Das Orpheum: spielstaetten.buehnen-graz.com/grazer-spielstaetten/orpheum-graz