Von Bücherregalen in freier Wildbahn

Maximal 500 Meter von meiner Wohnung entfernt, gibt es 9 wild lebende Bücher-Börsen. Die meisten stehen am Rand von Rad- und Gehwegen in der Wiese. Mehr als 100 solcher Bücherregale sind in der Stadt verteilt.

 

Die Idee soll tatsächlich in Graz mit einer „offenen Bibliothek“ der Aktionskünstler Clegg & Guttmann im Jahr 1991 als künstlerische Installation entstanden sein. Die beiden sind aus Dublin und Jerusalem, haben das damalige Projekt andernorts weiterentwickelt und Nachahmende gefunden. Dann war lange Sendepause, bis sich der Trend zur jederzeit zugänglichen Mini-Bibliothek im Alltag der Städte rasant verbreitete. Zumindest in Graz war dann Schluss mit der künstlerischen Gestaltung. Billy ist eine echte Schönheit gegen all das, was sich derzeit als Regal präsentiert.

 

Wer die kleinen Holzmonster aufstellt, ist ein Rätsel. Manche verbreiten sich offenbar organisiert, weil sie alle die gleiche Aufschrift haben. Nur eines in meinem Umfeld ist in einer Telefonzelle untergebracht, alle anderen sind Wind und Wetter ausgeliefert. Was bedeutet, dass ein richtiger Regentag Bücherwasserleichen hinterlässt, die danach auf wundersame Weise verschwinden. Überdachte Bereiche hätten vielleicht einen minimalen Vorteil.

 

Das System ist trotzdem genial. Die Regale füllen und leeren sich in einem permanenten Austausch, was die Bezeichnung Bücher-Börse rechtfertigt. Jeder kann ein Buch nehmen oder hinstellen. Die guten Geister im Hintergrund sollen unverkaufte Bücher aus den Caritas-Läden verteilen, habe ich gelesen. Manchmal findet auch ein veganer Brotaufstrich, ein Kuscheltier oder ein Spiel den Weg auf ein Regalbrett. Im Großen und Ganzen ist die Lagerung aber sortenrein und die Auswahl groß. Auch die Umschlagshäufigkeit ist hoch. Das hat auch Nachteile. Als ich einmal eine ganze Reihe von Martin Suters Büchern entdeckte und mir nicht sicher war, ob "Der Teufel von Mailand" bereits in meiner Hörbuch-Bibliothek vorhanden ist, bin ich nach Hause um nachzuschauen. Ein strategischer Fehler, wie sich herausstellte. In den 10 Minuten, die das gedauert hat, waren alle Suter-Romane vergriffen. Seither weiß ich, dass ich 11 Hörbücher von ihm habe, aber dieses eine nicht.

 

Ich nehme also schon mal das eine oder andere Buch mit nach Hause. Die aus der Frischluftbibliothek dürfen dann in die gestylte Umgebung zur Erholung. Wobei: Bücherfreundinnen und Bücherfreunde bekämen das intellektuelle Grausen, denn meine Bücher sind zum Teil sogar farblich sortiert. Das wirft wohl kein besonders vorteilhaftes Licht auf meinen Charakter, schaut aber schön aus. Und ist die Folge eines Faibles für Wohnzeitschriften. Zudem lese ich auch noch Romane und meide Sachbücher. Aber ich hatte schon sensationelle Funde für einen besten Freund, der sich für Geschichte und Kultur interessiert. 

 

Das Lesen von Büchern ist mit 38 Prozent keine so beliebte regelmäßige Freizeitbeschäftigung wie Fernsehen (84 Prozent) aber beliebter als Sex (20 Prozent). Wer gezielt nachschauen will, wo die Regale in Graz stehen – im Internet gibt es eine Liste. Von meinen 9 Exemplaren sind immerhin mehr als die Hälfte vertreten.

 

Ich habe heute wieder ein Buch mitgenommen. Eines von einem Verlag aus meiner Kärntner Heimat und ausnahmsweise kein Roman. Ich gehöre bisher zu den Nehmenden, weil ich mich von meinen Büchern nicht trennen kann. Gut, dass nicht alle so ticken, sonst wäre das System zum Scheitern verurteilt. Aber ich arbeite an mir. Ich hätte auch noch ein Regal im Keller …

 

Bücherregale unter Nachhaltig-in-Graz.at und viele sonstige interessante Informationen * kürzlich gefunden: Wie schmeckt Europa? Wieser Verlag Kärnten * öffentliche Bücherschränke in Österreich auf Wikipedia * Martin Suter, Diogenes Verlag * Freizeitbeschäftigungen in Österreich auf freizeitforschung.at, Forschungstelegramme