Lesen kommt von Auslese

Zumindest beim Wein. Denn nur gesunde und reife Trauben werden geerntet. Obwohl die Weinlese am Grazer Kehlberg schon vorbei ist, sind die Weinstöcke im Sonnenlicht ein schöner Anblick.

 

Schon die Kelten haben in vorchristlicher Zeit in der Steiermark wilden Wein getrunken, die Römer haben den Anbau dann in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten kultiviert. Die nachfolgende kollektive Weinbau-Demenz wurde erst im 9. Jahrhundert beendet. Für den Kehlberg in Graz ist historisch dokumentiert, dass 1140 ein Markgraf dem Stift Admont Rebflächen vermachte. Der Weinbau erreichte so im 15. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Danach dezimierten Kriege und Seuchen die Anbauflächen. 

 

Josef II hat 1784 das Buschenschank-Patent eingeführt, um den Kleinwinzern die Möglichkeit zum Zuverdienst zu geben. Im 19. Jahrhundert ging es auch dank Erzherzog Johann wieder aufwärts, bis die Reblaus über unsere Weinstöcke herfiel. 1925 gab es aber immer noch 37 Hektar Anbaufläche auf dem Kehlberg und 21 Buschenschenken. Die Grazerinnen und Grazer – damals waren es schon 200.000 – liebten den Wein und die Gastlichkeit. 1 Liter Weißwein kostete 1,20 Schilling. Das entspricht einer heutigen Kaufkraft von 5 Euro. Rund 40 Jahre später kam das Aus für die letzte Buschenschenke. Und damit geriet der Weinbau am Kehlberg wieder in Vergessenheit.

 

Bis 2013 der südsteirische Winzer Hannes Sabathi den Dornröschenschlaf beendete und auf den Gründen der Familie Blaschitz wieder Wein anpflanzte. Gabriele Blaschitz ist Geschäftsführerin der Kehlberg-Weine und macht auch Verkostungen. Gleich hinter dem Schloss St. Martin geht es hinauf, bei der Schlosskirche vorbei, dann links „Am Weinhang“ entlang. Ein Blick in die Kirche lohnt sich: Der Altar um den Heiligen Martin mit 3 lebensgroßen Pferden des Admonter Stiftsbildhauers Josef Stammel ist eine barocke Einzigartigkeit.

 

Der Kehlberg besteht aus uraltem Dolomitgestein. Die sonnige Steillage und ein leichter Aufwind sind ideale Voraussetzungen für den Anbau. Der erste Wein wurde 2017 geerntet. Falter Ego heißen Sabathis Weine und das kam so: Auf dem Kehlberg lebt der seltene Osterluzei-Falter. Er ist total abhängig von der Osterluzei-Pflanze, der Exklusiv-Mahlzeit seiner Raupen. Und die Pflanze mit den herzförmigen Blättern und den gelben Blüten fühlt sich gerade dort besonders wohl, wo Wein wächst. Der Falter selbst hat eine hübsche Musterung in Gelb und Schwarz mit ein paar roten und blauen Punkten. Es gibt den Falter Ego als Gebietswein (Graz gehört zur Weststeiermark), Ortswein (Graz) oder Riedenwein (besondere Einzellagen) verbunden mit einem jungen, trockenen oder sehr individuellen Charakter. Das DAC-Herkunftssystem ist aber eine eigene Wissenschaft.

 

Im August habe ich an einer Kehlberg-Führung der GrazGuides mit anschließender Weinverkostung im malerischen Innenhof des Schlosses St. Martin teilgenommen. Das ist durchaus empfehlenswert. Ich gehöre allerdings tendenziell der Prosecco-Fraktion an, wobei die Mitgliedschaft im Gegensatz zu früheren Zeiten eher ruht. Wer meine 20 Liter Wein von den 25,7 Litern im Jahresdurchschnitt trinkt, möchte ich aber schon gern wissen. Denn meine Vorliebe gilt den frischen Trauben, dem Saft und der Marmelade. Die Versorgung klappt perfekt durch liebe Freunde in Graz und Hartberg mit ihren Weinhecken im Garten. In Graz kann ich auch selbst ernten, oh Entschuldigung, es heißt ja lesen. Dann bin ich auch noch ein Rosinen-Junkie. Es geht nicht ohne beim Müsli, im Obstsalat, im Kaiserschmarrn und natürlich im Kärntner Reindling. In pikanten Reis-Varianten machen sie sich ebenfalls gut. Wein wird ab und zu zum Kochen verwendet.

 

„Er ist elegant und präzise im Ausdruck und zeigt eine frische Lebendigkeit und eine charmante Note.“ Wäre doch schön, wenn das jemand über meinen Blog sagen würde. Aber nein, es ist eine der wundersamen Beschreibungen für den Kehlberg-Wein. Er hat es aber auch verdient …

 

 

Interessantes über den Kehlberg: www.austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Damals_in_der_Steiermark/Klein-Grinzing_am_Kehlberg * Falter Ego Weine www.falterego.at * Auch Harald Florian aus Dobl hat am Kehlberg Weingärten rekultiviert * Die GrazGuides führen erst nächstes Jahr wieder "Vom Schloss zum Weinberg": www.grazguides.at * Die Kaufkraft vergleichen kann man mit dem historischen Rechner der Österreichischen Nationalbank www.eurologisch.at/docroot/waehrungsrechner/#/